Die Tochter des Kardinals
ereignislose Zeit, in der sie mit dem Heiligen Vater kein Wort wechselte. Sixtus schrieb mit Gazettis Unterstützung an einer Predigt. Dabei wirkte der Papst körperlich erschöpft und kraftlos im Geiste. Giulia war verunsichert durch diese Schwäche, denn der Heilige Vater war noch vor wenigen Tagen der kraftstrotzende Mann gewesen, den sie kennengelernt hatte. Sie hoffte, dass es nur eine vorübergehende Erkrankung war, die ihm zu schaffen machte.
Nach dem Mittagsmahl war Giulia entlassen. Der Papst gedachte, den Rest des Tages zu ruhen. Gazetti würde allein für Seine Heiligkeit sorgen.
Giulia durfte mit Fulvia und Pippo in den Gärten arbeiten.
Sie fand beide vor Pippos altem Holzhaus, das mitten in den päpstlichen Gärten stand. Pippo saß zu Fulvias Füßen und jätete Unkraut zwischen den Rosenbüschen. Die Herbstsonne schien mit milder Wärme, und blasse Schleierwolken zogen über die Berge im Osten dahin.
»Ausgeschlafen?«, fragte Fulvia mit einem Lächeln auf den sanft geschwungenen Lippen.
»Ich habe kein Auge zugemacht«, gestand Giulia und setzte sich neben Fulvia auf die Bank aus gelbem Sandstein.
»Es war eine anstrengende Nacht«, stimmte Fulvia zu.
»Es war eine erfolglose Nacht«, meinte Giulia.
»Zugegeben«, sagte Fulvia. »Aber es gibt noch andere Wege, um die Verschwörung aufzudecken.«
»Manchmal habe ich das Gefühl«, sagte Giulia, »du weißt mehr, als du zugibst.«
Fulvia lachte auf. »Ich bin lange genug im Vatikan, um zu wissen, dass sich für gewisse Probleme stets gewisse Lösungen finden lassen.«
»Ich mache mir Sorgen um den Heiligen Vater«, sagte Giulia. »Er wirkt schwach und krank.« Sie dachte nach. Dann erhellte sich ihr Gesicht. »Womöglich lassen die Attentäter von ihrem Vorhaben ab, wenn sie erfahren, dass es ihm nicht gut geht. Vielleicht sparen sie sich die Mühe, ihn zu ermorden, und warten, bis der Herr die Entscheidung fällt, Seine Heiligkeit in das Himmelreich zu holen.«
Fulvia schüttelte den Kopf. »Geduld und Gottvertrauen«, sagte sie, »gehören nicht zu den Eigenschaften dieser Männer. Sie wollen ihr Ziel erreichen, und zwar so schnell wie möglich.«
»Vermutlich hast du recht«, sagte Giulia. »Was können wir nur tun?«
Fulvia legte die Stirn in Falten und schien angestrengt nachzudenken. »Nun«, sagte sie. »Ich denke nicht, dass sie noch einmal hier im Vatikan einen Anschlag auf das Leben des Heiligen Vaters versuchen. Die Garde ist verstärkt und allzeit auf der Hut, die Maßnahmen zur Sicherheit Seiner Heiligkeit sind so streng wie nie zuvor. So werden sie es erneut versuchen, sobald er die schützenden Mauern des Vatikans verlässt.«
Giulia ließ die Worte auf sich wirken. Sie überlegte, wann dies geschehen könnte. Bisher hatte der Papst den Petersdom nur für kurze Zeit verlassen und nur bei stärkster Bewachung durch die Garde. Plötzlich hatte sie eine Idee.
»Der Heilige Vater sagte mir, er wolle noch einmal den Ort seiner Geburt besuchen.«
»Wann soll das geschehen?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Giulia. »Doch sollte sich sein Gesundheitszustand nicht bessern, schiebt er die Reise gewiss nicht lange auf.«
»Das wäre in der Tat die perfekte Gelegenheit für die Mörder«, sagte Fulvia. »Die Reise wird viele Wochen dauern.«
»So viel Unkraut«, brabbelte Pippo dazwischen.
Fulvia lachte voller Milde und streichelte über den Rücken des alten Mannes. »Es kann deinen geschickten Finger kaum Widerstand leisten, guter Pippo.«
Pippo gab ein kurzes kreischendes Lachen von sich und riss wieder Wurzeln aus dem schwarzen Boden.
»Wir müssen Capitano Geller von unserem Verdacht berichten«, sagte Giulia.
»Sobald es an der Zeit ist«, gab Fulvia zurück. »Ich glaube, im Moment hat er von unseren Eskapaden die Nase voll.«
»Hast du ihn heute gesehen?«, wollte Giulia wissen. Dabei rückte sie ein Stück näher an Fulvia heran.
»Nein.« Ein wissendes Lächeln trat auf ihre Lippen. »Vermisst du ihn?«
»Mitnichten!«, entfuhr es Giulia voller Empörung. Sogleich rückte sie von Fulvia ab.
Fulvia grinste noch immer. »Glaubst du, mir ist entgangen, wie ihr euch anschaut? Einander begehrend und doch so weit entfernt wie Rom vom Rande der Welt.«
»Unsinn!«, sagte Giulia.
»Du liebst ihn«, entgegnete Fulvia.
»Nein!«
»Doch!«
»Nein!«
»Das ist so gewiss wie der Sonnenaufgang am Morgen«, sagte Fulvia.
Da stürzte alles auf Giulia ein. Die Gefahren, denen sie in den vergangenen Wochen ausgesetzt
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