Die Tochter des Ketzers
– den konnte ich nicht ignorieren. Schrill, durchdringend und voller Aufruhr war er. Ein Geschrei, das mich unmenschlich deuchte. Nicht nur ich zuckte zusammen, auch der zottelige Wärter.
Der Schrei kam von Julia.
Kapitel XVII.
Malta, Frühsommer 1284
Caterina war es, als habe ihr Leib gelernt, auf größtmöglichen Schrecken zu antworten. Die Spanne, in der eine heftige, schmerzhafte Furcht an ihr zerrte, ehe sie sich der völligen Starre und Taubheit ergab, währte diesmal viel kürzer. Das Gefühl von Bedrohung und Gefahr blieb irgendwo in der Kehle stecken, anstatt ihre Gedanken zu erreichen – oder sich in einem Schrei zu entladen. Kurz wäre sie dazu noch fähig gewesen, denn als ihr der Hanfsack übergestülpt worden war, löste sich die schwielige Hand für einen Augenblick von den Lippen. Doch als ahnte sie, dass sich auf jenem lauten, wirren Markt ein Kampf nicht lohnte, tat sie weder den Mund auf, noch rang sie mit dem Angreifer. Jener hatte sie sich über die Schulter geworfen und ging mit ihr wenige Schritte, dann fühlte sie einen warmen, stacheligen Tierkörper – ein Pferd?
Sie hörte es nicht wiehern, gewahrte nur, wie sie quer darüber geworfen wurde, sodass Beine und Kopf jeweils an einer Seite hinabhingen. Das Tier deuchte sie viel weicher als ein Pferd, und als es sich in Bewegung setzte, so glich sein Gang dem Schaukeln eines Schiffs.
Ein einziges Mal versuchte sie sich aufzurichten, wollte diese Entführung denn doch nicht als endgültiges Geschick akzeptieren. Doch dann knallte unbarmherzig eine Faust auf ihren Kopf, und ihr wurde hernach so elend zumute, dass sie all ihre
Kraft darauf verwendete, gegen das Erbrechen zu kämpfen, nicht etwa um ihre Freiheit.
Wie lange der unbequeme Ritt währte?
In dem Dunkel, in dem sie verharrte – nicht tief schwarz, sondern schmutzig braun –, wankten die Gesetze der Zeit. Alsbald schmerzte ihr Bauch so sehr, dass sie vermeinte, Stunden in dieser Lage hinter sich gebracht zu haben, obwohl das unmöglich war, denn sie hatte begonnen, die Schritte des wankenden Tieres zu zählen, und war auf keine sonderlich hohe Zahl gekommen.
Irgendwann mischte sich in das Klappern der Hufe Gerede. Eigentlich klang es mehr wie Hundegebell, rau und zerhackt.
Ob es die Sprache war, die man hier auf Malta sprach? Jenes Gemisch aus Arabisch, Französisch und Italienisch?
Akil würde es vielleicht verstehen, aber wo war Akil?
Kurz war ihre Hoffnung gespalten – richtete sich darauf, dass ihm gleiches Los wie ihr widerfahren, sie also nicht allein wäre, und galt zugleich der Möglichkeit, dass er als Zeuge dieser Entführung zum Schiff zurückgehastet und dort davon berichtet habe.
Sie konnte sich nicht entscheiden, was ihr lieber war, und ob es überhaupt hilfreich wäre, dass Akil Gaspare benachrichtigen könnte. Denn wer immer es war, der sie gepackt und wie einen Sack über das Reittier geworfen hatte – Caterina war sich nicht sicher, ob Gaspare die Macht oder den Willen hatte, diesem Einhalt zu gebieten.
Die Hoffnung, dass Akil verschont geblieben war, verflüchtigte sich ohnehin bald. Das Tier blieb stehen, jemand zerrte an ihren Händen. Kopfüber stürzte sie nach vorne, hatte Angst, mit dem Schädel auf der Erde aufzuprallen, doch ein unsanfter Griff hielt sie fest, vorerst zumindest, um sie dann schmerzhaft auf ihr Hinterteil aufprallen zu lassen. Ein Stöhnen entfuhr ihr, oder war es seines?
Durch den braunen Schleier nahm sie eine andere Gestalt wahr, die neben ihr auf dem Boden kauerte.
»Akil?«, fragte sie. »Akil?«
»Ich bin es.«
Seine Stimme klang schwach wie die eines Kindes.
»Was geschieht hier mit uns?«
»Ich weiß es nicht.«
Sie kam nicht dazu, noch mehr zu fragen. Wieder griffen fremde, unbarmherzige Hände nach ihr. Wieder wurde sie gepackt, getragen, schließlich gestoßen, offenbar in einen kleinen, engen Raum, denn die Luft war hier stickiger und heißer als draußen.
Caterina hörte ein Rumpeln, als Akil neben sie rollte, dann, wie ein Tor zugeschlagen wurde, nicht neben, sondern über ihr. Zuletzt war es still.
Wieder war es schwer, die Zeit zu messen. Sie folgte keinem regelmäßigen Takt, sondern angstvollen Fragen. Würde jemand kommen, sie holen, ihr Gewalt antun wie damals auf Gaspares Schiff?, war die erste, und mit jedem Atemzug war Caterina erleichtert, dass sich kein Geräusch vernehmen ließ.
Doch dann verstummte diese Frage, machte einer anderen Platz: Würde jemand kommen, um ihnen zu trinken zu
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