Die Tochter des Ketzers
tranken beide durstig – Gaspare wie immer steif und distanziert und vorsichtig darauf bedacht, mit seinen Lippen nicht ihre Handinnenfläche zu berühren, Ray hingegen mit solcher Gier, dass er sich förmlich darin festzusaugen schien. Kurz hatte sie überlegt, ihm das Wasser zu verweigern, doch dann deuchte es sie, dass er bereits mehr als genug für seine Untat bestraft wurde.
Freilich schien er sein Tun nicht für eine solche zu halten.
Sein bleiches Gesicht hatte zwar nicht wieder Farbe gewonnen, seit Davide ihm seine wahren Pläne offenbart hatte, aber wann immer sein Blick auf Gaspare fiel, war jener verächtlich, als sei es durchaus lohnend, sein Leben zu verlieren, wenn denn auch der andere in einen schmachvollen Tod ginge.
Nur für einen Augenblick vergaßen sie beide ihre Verachtung und waren sich einig.
»Hör zu«, murmelte Gaspare, »hör zu, Caterina, du kannst nicht bei uns bleiben. Du bist hier ohne Schutz, ganz gleich, was Davide versprochen haben mag ...«
»Aber was soll ich denn ...«
»Er hat recht!«, fiel Ray ihr ins Wort. »Du verschwindest, noch ehe es den Männern einfällt, dir Gewalt anzutun, hörst du? Solange sie mit uns beschäftigt sind, werden sie dich vielleicht verschonen, doch sobald sie uns ausgeliefert haben, werden sie sich mit aller Gründlichkeit und Zeit dir zuwenden. Du musst fliehen!«
»Aber ...«
»Versteck dich!«, befahl Gaspare. »Wenn sie uns tatsächlich den Gefolgsleuten von diesem Attilio de Mari übergeben, dann werden wir wohl an irgendeiner Wegkreuzung ins Landesinnere aufbrechen, wo sich die Korsen gerne zurückziehen. Du darfst uns nicht folgen, sondern bleibst einfach an der Küste, gehst sie immer weiter entlang, Richtung Süden, dann kommst du nach Aleria. Sieh zu, dass du dort Hilfe findest!«
»Aber wo denn?«, rief Caterina verzweifelt aus.
»Ein Kloster«, murmelte Ray, »geh in ein Kloster! Als ich in Mariana war, habe ich einige Benediktiner gesehen. Berichte, was dir geschehen ist, hörst du? Man wird dir helfen.«
Caterina schüttelte den Kopf.
»Vielleicht ist es Gottes Fügung!«, redete Ray auf sie ein. »Bring die Reliquie in Sicherheit ... du trägst sie doch noch bei dir? Ja? Das ist gut.«
Mehr aus Gewohnheit denn willentlich hielt sie das Bündel in Händen. Ehe sie widersprechen konnte, fuhr Ray schon fort: »Ja, du bringst sie in ein Kloster. Ich bin sicher, du wirst dort Hilfe finden. Erzähl irgendeine Geschichte, die das Herz der Mönche erweicht, es wird dir schon was einfallen. Aber bleib nicht in unserer Nähe, hörst du?«
»Ja«, bekräftigte Gaspare und klang plötzlich sehr bitter. »Bleib nicht in unserer Nähe. Geh und dreh dich nicht nach uns um. So wie’s ausschaut, sind wir beide Verlierer. Ich tauge nicht, mich an Onorio Balbi zu rächen. Und er taugt nicht, mich zu verraten, ohne selbst dabei drauf zugehen ... Geh schnell weg von uns! Aber vergiss nicht, ein Gebet zum Himmel zu schicken, falls sie uns tatsächlich hängen.«
»Und bitte, Caterina ...«, setzte Ray hinzu, und sie war sich nicht sicher, ob er verzweifelt oder lustig klingen wollte, »behalte mich als Schlitzohr und Betrüger in Erinnerung, der ich einst war ... nicht als elender Versager!«
Es blieb ihr keine Zeit zu antworten. Davides Männer kamen, zerrten die beiden hoch, um die restliche Wegstrecke hinter sich zu bringen. Obwohl Caterina ihrem eindringlichen Ratschlag nicht zugestimmt hatte, blieb sie doch wie erstarrt hocken. Sie wagte nicht, ihnen nachzusehen. Nur solange sie den Blick starr auf ihre gekreuzten Hände richtete, vermochte sie sich einzureden, dass es wohl richtig war, endlich ihr Geschick von dem Rays und Gaspares zu lösen. Es musste sein. Sie hatten ihr beide nichts als Unglück gebracht. Eigentlich sollte sie sich glücklich schätzen, sie loszuwerden, sich nicht um sie scheren, sondern sich lieber auf das eigene Leben besinnen.
Als die Schritte, das Schnaufen, das Stöhnen endlich verklungen waren, so saß sie immer noch an gleicher Stelle, inmitten des dicht gewachsenen Buschwerks, das von Mücken umsurrt wurde. Doch ihr klarer Blick verschwamm in Tränen. Sie wusste nicht, wem ihr Kummer galt – sich selbst oder Ray oder
Gaspare oder einfach nur der grenzenlosen Einsamkeit, die von allen Seiten an ihr hochschwappte.
Worte fielen ihr ein, Worte, die ihr Vater einmal gesagt hatte. Vertrau auf Gott, und du bist nicht allein.
Aber die Erinnerung daran schenkte keinen Trost, verstärkte nur die Verlassenheit,
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