Die Tochter des Ketzers
als sich die Dunkelheit gänzlich über die Insel legte, löchrig nur am Sternenhimmel, dessen kaltes Funkeln sich im Meer spiegelte, da drehte sie sich immer wieder aufs Neue in die Richtung, aus der sie gekommen waren, suchte eine Gestalt zu erspähen, etwas zu erlauschen.
»Er wird uns folgen«, bekräftigte sie wieder, längst keine Gewissheit mehr bekundend, eher eine Hoffnung, »und er wird uns finden.«
Akil zuckte nur mit den Schultern.
Wieder verging eine Weile, doch dann, endlich, waren Schritte zu hören, trat eine Gestalt zu ihnen, lautlos, fast vorsichtig. Kaum dass Caterina den Schatten erspäht hatte, senkte sie rasch das Gesicht und blickte wieder starr auf ihre Knie. Sollte Ray nur nicht glauben, sie hätte ihn sehnsuchtsvoll erwartet, sich Sorgen gemacht. Sollte er nur nicht glauben, dass sie ihn brauchte.
Sie blickte auch nicht auf, als die Gestalt unmittelbar vor ihr stehen blieb.
Doch als eine Stimme erklang, eine ganz andere als erwartet, so zuckte sie zusammen und schrie unwillkürlich auf.
»Du?«, fragte sie entsetzt.
Eine Weile stand er wortlos, indessen sie ihn anstarrte. Gleichwohl sie ihn sofort erkannt hatte, blieb ihr Blick ungläubig – gleich so, als würde sich das Bild vor ihren Augen ändern, wenn sie es nur lange genug anzweifelte. Schließlich wandte er sich ab, trat zum Feuer, hielt fröstelnd seine Hände darüber.
»Hab euch lange nicht gefunden«, sagte er leise, als beziehe sich ihr Entsetzen einzig darauf, dass er so spät gekommen war.
Nun war’s Akil, der ihn anstarrte, im Gegensatz zu Caterina scheu, indessen sie hochsprang, zu ihm lief.
»Was hast du nur getan, Gaspare? Was hast du ...«
Gaspare hob beschwichtigend die Hände.
»Ich habe gar nichts getan, weiß Gott, im Kerker waren mir doch die Hände gebunden. Aber ... Ray. Er ist zurückgekommen, hat mich gegen sich auslösen lassen. Der Kerkermeister war bereit dazu, keine Ahnung, was er ihm gesagt hat, und ...«
»Du lügst!«
Unmöglich, dass er von jenem Ray sprach, den sie kannte! Ray hasste Gaspare von ganzem Herzen, war einzig auf sein eigenes Wohl bedacht, auf seine Freiheit, niemals würde er sich opfern, auch nicht für einen Menschen, der ihm näherstand als der Pisaner.
Gaspare zuckte mit den Schultern, bekundend, dass auch er kaum glauben konnte, was ihm da geschehen war. Als er weitersprach, starrte er statt in ihr aufgelöstes Gesicht auf seine Hände, die sich langsam erwärmten.
»Ich ... ich soll dir von ihm eine Botschaft überbringen«, begann er zögerlich zu sprechen. »Er wisse, was du von ihm hältst, und in fast allen Dingen hättest du recht. Doch was du ihm zuletzt sagtest, sei nicht wahr. Dass er nur an sich denke. An jenem Tag ... an jenem Tag, als meine Männer ... du weißt schon ... da hat er sich geschworen, alles zu tun, um dich zu schützen, dich zu befreien, dich zu rächen, ja, dich ins Leben zurückzuführen. ›Ich habe dich an Davide verraten, um sie zu rächen ...‹, hat er zu mir gesagt. ›Gewiss auch ein wenig meinetwegen. Aber vor allem ... für sie. Doch wenn es nicht das ist, was sie will, wenn sie vielmehr dich will, so soll sie dich auch haben. Ich habe schon so viel falsch gemacht, habe sie auf Davides Schiff gebracht, habe sie in Malta zur Flucht gedrängt – und immer ist es schiefgegangen, Gott weiß, warum. Doch diesmal bin ich kein Versager. Diesmal werde ich es richtig machen. ‹«
Gerne hätte Caterina ihn erneut als Lügner beschimpft, um solcherart von sich fernzuhalten, was hinter Entsetzen und Ungläubigkeit lauerte: die Ahnung, dass die Welt, die doch bereits aus allen Fugen geraten war, ihr noch die letzte Gewissheit nahm. Sie hatte sich für Ray entschieden, hatte sich vorgemacht, sie täte es, weil ihre Großväter Brüder gewesen waren, und hatte insgeheim gewusst, dass sie doch mehr an ihn band – die vielen Nächte, die sie ruhig in seinen Armen geschlafen hatte, später die hitzige Umarmung und der Kuss, die ihr bewiesen hatten, dass ihr Körper nicht zerstört und für alle Zeiten tot war. Und wiewohl sie das wusste und es nicht ernsthaft bereut hatte, so hätte sie ihn doch auf ihre Weise dafür bestraft, hätte es ihm vorgehalten, wieder und wieder, und wäre trotz aller Veränderung in die alte, vertraute Rolle geschlüpft – die der Anklägerin, welche dem Sünder seine Vergehen vorhält. Vielleicht hätte er mit Trotz geantwortet, vielleicht mit Spott, vielleicht mit Scham. In jedem Fall wäre sie es gewesen, die
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