Die Tochter des Ketzers
austeilen konnte, und er hätte einstecken müssen. Nun deuchte es sie, alles fiele auf sie zurück, der Wunsch zu beschämen, der Wunsch zu schimpfen, der Wunsch, einen anderen für das eigene leidige Geschick verantwortlich zu machen.
»Wie konntest du ihn einfach dort zurücklassen?«, schrie sie Gaspare an. »Wie konntest du dich darauf einlassen?«
Er zog die Hände vom Feuer, blickte sie überrascht an. »Hätte ich denn mit ihm im Kerker verrotten oder mich mit ihm aufhängen lassen sollen? Welchen Sinn hätte das gemacht, wenn er doch so entschlossen war, dir einen letzten Gefallen zu tun?«
»Du hättest ihm ... du hättest ihm ...«, stammelte Caterina. Sie wusste nicht, was sie von ihm fordern sollte. Es war gewiss nicht gerecht, ihm sein Verhalten vorzuwerfen – und doch: Er war ... der Falsche.
»Caterina, verstehst du nicht? Du hast ihn erwählt, aber er hat’s ausgeschlagen! Er hat mir seine Freiheit geschenkt!«
»Warum sollte er so ein Opfer bringen?«
»Hast du mir eben nicht zugehört? Er hat es für dich getan, Caterina, für dich! ... Und hätte ich etwa darauf verzichten sollen?«
Sie neigte dazu, die Frage zu bejahen, zögerte jedoch. »Ich weiß es nicht«, murmelte sie hilflos.
»Du musst dich doch nicht schlecht fühlen seinetwegen«, sagte Gaspare leise, trat zu ihr her, wiewohl er in ausreichendem Abstand blieb. »Er ist kein guter Mensch. Er ist durchtrieben, rücksichtslos und ...«
Er schien sie trösten zu wollen, doch nun, da er aussprach, was sie Ray noch vor Stunden selbst an den Kopf geworfen hatte, fand sie es gemein und empörend. »Willst du mir sagen, es wäre nicht schade um ihn?«, fuhr sie auf. »Pah! Als ob du mehr Verdient hättest zu leben als er.«
»Wenn du uns beide hättest hängen sehen wollen, Caterina«, gab Gaspare zurück und klang gekränkt, »dann hättest du nichts für unsere Rettung tun dürfen.«
Sie wandte sich ab und schlug ihre Hände vors Gesicht, um nichts zu sehen. Sie hatte gedacht, die Ordnung dieser Welt könne nicht noch mehr ins Wanken geraten – nicht, nachdem sie die Reliquie verraten und Davide ermordet hatte. Jetzt aber wusste sie nicht mehr, wo das Schlechte aufhörte, das Gute begann, wer von ihnen allen der Beste wäre, wer der Selbstsüchtigste, wer das eigentliche Opfer.
Als sie den Kerker verlassen hatte, hatte Gaspare ihr schrecklich leidgetan, wiewohl sie an der schweren Entscheidung festgehalten hatte. Doch nun stand er vor ihr, indessen Ray wieder im Gefängnis hockte, vielleicht aus Trotz, vielleicht aus Stolz, vielleicht, weil er über sich hinausgewachsen war, und all ihr Bedauern galt plötzlich ihm.
»Caterina ...« Gaspares Stimme war nur mehr ein Flüstern.
»Komm mir nicht zu nahe! Hau ab!«
»Du ekelst dich vor mir, nicht wahr? Ich habe es genau gespürt.«
Sie rang mit den Händen, wieder kurz geneigt, all ihren Zorn und ihre Zerrissenheit mit wütenden Worten auf ihn abzuwälzen. Doch dann tat er ihr leid, wie er da stand, heimatlos und verloren und trotzig, zwar bemüht, sich beherrscht zu geben, und trotz allem verstört von dem, was über ihn hereingebrochen war.
»Ach, Gaspare«, seufzte sie. »Glaub mir, ich wünschte, du findest das, wonach du suchst, sei’s Gerechtigkeit oder Glück oder einfach nur Vergessen. Und ich wünschte, ich könnte dich umarmen, allen Schmerz aus dir herauspressen, dir frischen Lebensodem einhauchen, und alles wäre gut. Aber ich glaube, dazu tauge ich nicht. Ich bin nicht die richtige Frau für dich.«
Sie wandte sich ab, setzte sich, schlang wie zuvor ihre Arme um die Knie, diesmal nicht nur, um sich zu wärmen, sondern um sich zu verkriechen. Eine Weile war ihr, als würde Gaspare hinter ihr stehen, sich überlegen, ob er noch etwas sagen sollte. Doch dann hörte sie, wie er sich vom Lager entfernte, frisches Holz holte, die Flammen damit nährte. Das Säuseln und Knacken des Feuers schläferte sie ein, wenngleich die Kälte zu tief hockte, um davon verscheucht zu werden. Noch im Schlaf fühlte sie sich trostlos und verloren und schreckte immer wieder von Träumen gejagt hoch: Ray kam darin vor, wie sie ihn beschimpfte und schlug, und auch Gaspare, wie er sie umarmte und sie sich zu entwinden suchte. Er aber ließ sie nicht los; seine Umarmung wurde ihr widerwärtig, erinnerte an die unbarmherzigen Griffe der Männer, die sie geschändet hatten, und deuchte sie dann ganz plötzlich weich, als besäße er keine Knochen, nur einen warmen, anschmiegsamen Leib. Sie
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