Die Tochter des Ketzers
könne.
Noch ehe ihr freilich die ganze Schändlichkeit seines Tuns aufging, hatte es bereits eine andere erfasst. Ein feister Schatten erschien in der engen Tür, und in Rays Hohngelächter hinein tönte wieder die misslaunige, zeternde Wirtin: »So hast du’s dir also gedacht, du Hundsfott! Den Kranken spielen, um mich um mein Geld zu bringen!«
Anstatt sich ertappt zu geben, vollführte Ray wieder einige seiner Bocksprünge. »Fang mich doch, wenn du willst, du fette Sau!«, rief er schrill. »Schaffst es ja doch nicht!«
Caterina stand starr.
Mein Gott, ein Betrüger und Lügner! Ein Taugenichts! Und mich hat er zur Helfershelferin gemacht!
Manche Sünden straft der Herr nicht sogleich, hatte ihr Vater gepredigt, was nicht heißt, er würde sie vergessen ... für alle gilt es, Buße zu tun.
Nur, welche Art der Buße? Caterina wusste, dass für jedes Vergehen eine Läuterung im schrecklichen Fegefeuer vorgesehen war, doch während sie noch fieberhaft überlegte, wie viele Tage oder gar Jahre für einen Betrug wie diesen zu zahlen wären, packte Ray sie schon am Arm, zog sie mit sich und raunte ihr ins Ohr: »Lauf, Base! Willst doch gewiss nicht in der Taverne meine Zeche abdienen, oder?«
Sie starrte ihn verständnislos an, während sich die wuchtige Wirtin näherte, einen Holzprügel in der Hand, mit dem sie auf Ray einschlagen wollte. Jener duckte sich wenig, und noch ehe sich Caterina willentlich dazu entschieden hatte, tat sie es ihm gleich. Keuchend lief sie ihm hinterher; die kalte Nachtluft biss sich so schmerzend in ihre Kehle, dass sie vergaß, sich die notwenige Sühnezeit für sein Vergehen auszudenken, und als sie endlich zu stehen kamen, irgendwo dort, wo die letzten Häuser des Dorfs in bewaldete Hügel übergingen, war es zu spät, ihre Flucht rückgängig zu machen.
»Wie konntest du! Wie konntest du!«, zischte sie.
Vor lauter Empörung stiegen ihr Tränen auf, just als Ray sich zu ihr umdrehte. Wiewohl sie immer noch kaum mehr sah als den dunklen Umriss seines Gesichts, vermeinte sie, dass der Spott aus der Miene geschwunden sei.
»Hör auf zu flennen!«, sprach er da schon rau,
»Ich flenne nicht!«, erwiderte sie heftig. Mochte Gott ihre Tränen auch als Zeichen der Reue geltend machen – er würde gewiss nur spotten und damit seine Sünde vergrößern.
»Das ist gut«, meinte er leichtfertig. »Das Leben ist ein Spiel, mal verlierst du, mal gewinnst du – wenn du flennst, dann verpasst du den nächsten Zug.«
»Wie konntest du, wie konntest du das tun?«, wiederholte sie die erste Frage.
»Die Alte betrügen? Lieber Himmel, so viel ist ein Humpen Wein nicht wert, dass die nun verarmt. War ohnehin schlechter Wein, der keinem bekommt!«
»Was säufst du ihn dann, du ... du Sünder!«
»Welch edles Wort! Gewöhnlich nennen mich die unschuldigen Mädchen, wie du eins zu sein scheinst, einen üblen Dreckskerl und Hundsfott!«
»Bist du ... bist du wirklich mein Vetter, Raimon?«
Sie wusste nicht, auf welche Antwort sie hoffen sollte.
»Ach, Base ... wie war noch mal dein Name? Hast ihn schon erwähnt? Gesichter vergesse ich nie, die Namen, die dazugehören, schon. Du wirst ihn mir also noch ein paar Mal sagen müssen. Nun, weil wir aber gerade bei den Namen sind: Nenn mich nie, nie wieder Raimon! Glaub mir, in dem Land, in dem wir leben, hatten jene, die so hießen, schon viel Unglück zu erleiden. Nicht auszudenken, dass die Schicksalsmächte mich womöglich mit diesen verwechseln und ich ihr Elend auf mich ziehe!«
»Was ... was meinst du damit?«, fragte sie verständnislos.
»Solche Frage aus deinem Mund?« Er grinste verächtlich. »Sagtest du nicht, dass die Franzosen deinen Vater als Ketzer verbrannt hätten? Seit sich die Grafen von Toulouse – allesamt auf diesem Vornamen getauft – mit ihnen angelegt haben, denken sie, dass jeder, der Raimon heißt, ein Ketzer ist. Wobei dein Vater, glaube ich, ja nicht Raimon hieß, nicht wahr? Nun, erwischt hat’s ihn trotzdem. Den letzten Raimon von Toulouse ja nicht ganz so schlimm. Den haben sie, glaube ich, nur ausgepeitscht und ins Gefängnis gesteckt, anstatt ihn zu meucheln. Und seine Tochter mit einem der ihren verheiratet. Weswegen es keine Grafen Raimon mehr in Toulouse gibt, sondern nur mehr Franzosen, die uns knechten und treten. Die Franziskaner und die Domini canes – ach vergib, es sind ja keine Hunde, son dern Dominikaner – stehen auf ihrer Seite, auch wenn sie gern behaupten, dass sie einzig im Namen Gottes
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