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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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alle Ketzer totmachen. Ein Wunder, dass dein Vater es so lange geschafft hat!«
    Caterina hatte ihm schon vorher ins Wort fallen wollen, doch dass er Silbe an Silbe zum stetigen Fluss aneinanderreihte, hatte ihr das nicht möglich gemacht. »Mein Vater ist kein Ketzer!«, rief sie nun empört.
    Ray schüttelte den Kopf, weniger verneinend, sondern vielmehr so, als wolle er seine Gedanken zurechtrücken oder den steifen Nacken geschmeidiger machen.
    »Wenn du es sagst«, meinte er. »Kann vielleicht so sein. Ich glaube mich zu erinnern, dass mein Vater über deinen Vater sagte, dass er der Sohn eines Feiglings und Kriechers sei, weil wiederum dessen Vater – anders als der Vater von meinem Vater – König Louis unter den Rockzipfel gekrochen sei und wahrscheinlich noch ein Stück tiefer. Gott im Himmel, von wie vielen Vätern hier die Rede ist! Es wird immer verwirrender! ... In jedem Fall hat ihm jener all die konfiszierten Güter wieder zurückgegeben. Glück gehabt. Nun, ich würde auch in jeden reinkriechen, der’s will. Aber da gibt’s leider kein Vermögen mehr zum Wiedererlangen. Also bleiben nicht viele, bei denen ich mich anbiedern könnte, womit wir übrigens wieder bei meinem Namen wären: Denn das kann ich eben schon tun – vermeiden, dass ein jeder erkennt: Huch!, das ist ein Edler aus dem Languedoc.«
    Als er diesmal endigte, war Caterina nicht mehr bestrebt, den Vater zu verteidigen, sondern fühlte sich nur unendlich müde.
    Er schien denn auch genug vom Sprechen zu haben, schüttelte wieder seinen Kopf und obendrein alle Glieder und drehte sich dann von ihr weg.
    »Wohin ... wohin willst du denn?«, fragte sie entgeistert, als er sie einfach stehen ließ und fortging.
    »Ich kann doch nicht mehr zurück ins Dorf«, warf er ihr über die Schultern zu. »Hab zu viele Schulden dort, nicht nur bei der Wirtin.«
    Schweren Schrittes eilte sie nach. »Aber wo lebst du denn? Wo ist dein Zuhause?«
    »Geht’s dich was an? Ach ja ... stimmt ... du hast mich ja gesucht. Was willst du eigentlich von mir, Base?«
    Unwillkürlich stöhnte sie auf. Sie wusste nicht, was sie sich genau von Raimon erwartet hatte – in jedem Fall aber, einen älteren Mann zu treffen, der ihrem Vater glich, nach ähnlich strengen Regeln lebte wie jener und genau wissen würde, was zu tun war. Nun hatte sich herausgestellt, dass dieser ältere Mann tot war und sein Sohn ein Bastard, Taugenichts und Sünder.
    Durfte sie überhaupt an seiner Seite bleiben? War es nicht dem Heil der Seele abträglich, sich auch nur in der Nähe von einem solchen Unhold aufzuhalten?
    Sie blieb stehen, blickte ratlos auf seine sich entfernende Gestalt, dann hoch zum dunklen Himmel, der ihr freilich seinen Ratschlag schuldig blieb.
    »Aber ich muss ... ich muss doch unseren Schatz in Sicherheit bringen«, rief sie kläglich.
    Ray blieb stehen und drehte sich wieder zu ihr um.
    »Welchen Schatz?«, fragte er.
    »Wirst du ... wirst du mir helfen?«, gab sie zurück.
Corsica, 251 n.Chr.
    Die Menschen in der Welt, wie ich sie kenne, helfen einander nicht. Sie tun ihre Pflichten, die einen besser, die anderen schlechter. Manchmal findet man jemanden, der mehr zu geben hat als der Rest – mehr Mütterlichkeit, mehr Leibeskraft, mehr Verstand, und im Dunstkreis eines solchen Menschen kann es sein, dass ein wenig von dem, was er im Übermaß hat, auf dich schwappt, sofern du daran Mangel leidest.
    Julia Aurelias Gestalt war zu dürr, und ihre Tunika war zu einfach, um den Verdacht zu erwecken, dass sie von irgendetwas zu viel haben könnte, und doch hatte sie – hier im Hafen von Aleria – etwas zu verschenken, das Einfachste nämlich und zugleich das Kostbarste: frisches Brot und Wasser. Eine Gabe, die wenig kostet und für die doch manche das Augenlicht geben würden, Schiffbrüchige zum Beispiel, die nach Sturm oder Krieg ihr ganzes Vermögen an die dunkle Meerestiefe verloren und einzig ihr Leben gerettet haben, was nicht viel wert ist, wenn man fortan als Bettler in jenem Hafen zu hocken hat, an dem man gestrandet ist. Auch in Aleria gab es solche Unglücklichen, die – umgeben von den Trümmern ihres Schiffbruchs – verzweifelt auf Almosen warteten.
    Die Welt ist gemeinhin verstörend grausam zu solchen, die entweder Besitz oder Kraft verloren haben. Wer Pech hat, wird für gewöhnlich gemieden. Julia Aurelia – ihren Namen erfuhr ich später, desgleichen ihren Status – brachte jenen armseligen Kreaturen jedoch zu essen und zu trinken, eine

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