Die Tochter des Ketzers
es dich derzeit nach solch sperrigen, kratzbürstigen Dingern verlangt? Ich dachte immer, dir gefielen blonde Weiber!«
Unwillkürlich griff sich Caterina an den Kopf, ihre Haare waren dunkel, tiefschwarz sogar, wie die der italienischen Großmutter, deren Namen sie trug. Indessen ließ die Wirtin sie los, die Reihen lichteten sich. Sie konnte nicht glauben, wen sie da sitzen sah.
Er war jung, viel zu jung, um der Vetter ihres Vaters zu sein. Vielleicht ein wenig älter als sie, gewiss aber nicht älter als zwanzig.
Dies allein war es nicht, was den Ausdruck des Entsetzens auf Caterinas Gesicht schrieb. Vielmehr die Tatsache, dass der fremde Verwandte vornübergebeugt saß – und sich übergab.
»Ray, du Dreckskerl! Kotz mir ja nicht die Bude voll!«, keifte die Wirtin.
Krampfhaft wischte er sich über die Lippen, als würde dies ausreichen, den Mageninhalt dort zu belassen, wohin er gehörte. Dann aber würgte er weitere übel riechende, klebrige Brocken heraus, ehe er sich stöhnend und mit geschlossenen Augen zurücklehnte.
Caterina trat zögernd an ihn heran, musterte ihn genauer, um noch mehr zu gewahren als nur, dass er jung war.
Sie hatte noch nicht viele Männer in ihrem Leben gesehen, doch jener Raimon war wohl auch nach den Maßstäben der abgebrühten Welt sehr sonderlich gekleidet.
Das Erste, was sie wahrnahm, war eine Hasenpfote, die er mit einem ledernen Band um den linken Unterarm festgebunden hatte, und ein Amulett, das er um den Hals trug. Caterina hatte so eines schon einmal gesehen: Lorda hatte es getragen und ihr erklärt, dass es aus Alraune wäre, eine Pflanze, die Schutz vor den bösen Mächten dieser Welt verspräche.
»Nichts als Aberglaube!«, hatte der Vater geschimpft und Lorda strengstens verboten, solchen Schmuck zu tragen.
Trotz des Ekels vor dem Gestank, den das Erbrochene ausströmte, tat Caterina einen weiteren Schritt in seine Richtung. Bartlos war ihr Vater gewesen, so wie es die Mode verlangte; Ray hingegen trug ein Kinnbärtchen, das sehr unregelmäßig zurechtgestutzt war: An manchen Stellen waren kaum Stoppeln davon zu sehen, an anderen erwuchs ein richtiger Bart. Er war von ähnlicher Farbe wie sein Haar, wenngleich dieses so verdreckt war, dass sich die Farbe nur erahnen ließ, In der Sonne würde es womöglich rötlich-blond glänzen. Darüber trug er eine Calotte, eine knapp anliegende Kopfbedeckung aus Leder, die unter dem Kinn zugeschnürt wurde, ihm jedoch vom Haupt in den Nacken gerutscht war.
Caterinas Blick glitt tiefer, nahm die absonderliche Kleidung in Augenschein. Jene schien nicht aus einem einheitlichen Stück Stoff genäht, sondern aus vielen verschiedenen Gewändern zusammengestückelt. Das eine Hosenbein war rot, das andere grün. Beide waren obendrein mit vielen Lappen verunstaltet, die an mancher Stelle darübergenäht waren – wohl dort, wo der ursprüngliche Stoff rissig und löchrig geworden war. Merkwürdig waren auch die Ärmel seine Hemdes – bis zum Ellbogen nämlich in Streifen zerrissen, so gleichmäßig, dass sie nicht sicher war, ob es nur ein Missgeschick gewesen war oder aber so gewollt.
So gebannt starrte sie auf sein ungewöhnliches Gewand, dass sie nicht gewahrte, wie er sich aufrichtete und seine Augen zu einem schmalen Spalt öffnete. Die Übelkeit schien ihn sehr zu schwächen, doch musterte er sie nun.
»Und wer bist du?«, stöhnte er.
Caterina zögerte mit der Antwort, erleichtert, dass bereits die Wirtin dazwischenkeifte: »Ganz gleich, ob du ihn ausgespien hast ... für den Wein bist du mir einen halben Sous schuldig, und den zahlst du!«
»Ja, ja«, winkte Ray unwirsch ab. »Bring dich schon nicht um die Zeche.«
»Würd ich dir auch nicht raten, Bürschchen. Und denk auch nicht, ich wär vor einem wie dir nicht gewarnt.«
»Also«, Ray setzte sich ächzend auf und wandte sich wieder an Caterina. »Wer bist du?«
»Sie sagte vorhin, du wärst der Vetter ihres Vaters!«, rief einer der betrunkenen Männer dazwischen.
Caterina bestätigte es nicht. »Raimon von Mont-Poix?«, fragte sie ihrerseits.
Langsam nickend schien Ray zu begreifen. »So überrascht, wie du mich angaffst, hast du mit meinem Vater gerechnet, nicht mit mir«, begann er, um dann gar nicht wieder aufzuhören zu sprechen. »Nun, es tut mir leid, Mädchen, aber der ist mausetot. Schon seit Jahren. Gott hab ihn selig. Ich bin sein Fleisch und Blut, aber leider nicht ehelich geboren, was heißt, ich dürfte gar nicht seinen Namen tragen, tu’s
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