Die Tochter des Ketzers
verschwunden, doch alsbald – die Menge raunte erregt – war sie kräftig genug, um sich aufzusetzen, sich schließlich sogar, wiewohl noch bleich, zu erheben. Stöhnend murmelte sie Ray ein paar Worte zu, und als sie geendigt hatte, war sie erfrischt genug, um ihm obendrein ein scheues Lächeln zu schenken. Er erwiderte es auf gewohnte Weise, spöttisch, überlegen und mit anzüglich hochgezogenen Brauen. Die Grimasse störte Caterina nicht – zu sehr war sie im Stillen damit beschäftigt, Abbitte zu leisten, dass sie von dem Vetter nichts Gutes erwartet und er sich nun doch als solch erfahrener Heilkundiger erwiesen hatte. Dass das Mädchen so eindrucksvoll schnell gesundet war, ließ sie sogar vergessen, dass Krankheiten für gewöhnlich nicht die Falschen trafen, sondern Werkzeug des Allmächtigen waren.
Nicht nur sie schien bereit, ihr Urteil zurückzunehmen. Noch während Ray ihr zuflüsterte, was Faïs ihm zum Dank für die wundersame Heilung versprochen hatte – dass sie nämlich diese Nacht ein Dach über den Kopf bekommen könnten, es gäbe einen Schuppen gleich neben der Schmiede, in den Faïs obendrein ein paar wärmende Decken bringen wollte –, so stellte sich heraus, dass sie heute nicht nur nicht frieren, sondern auch nicht hungern mussten.
Vergebens hatte Ray am Vormittag seine Arzneien angepriesen – nun freilich machte die Runde, dass er eine vermeintlich Sterbende in wenigen Augenblicken geheilt hatte. In den Stunden, die folgten, wurde diese Geschichte nicht nur immer ausführlicher und wundersamer ausgeschmückt (am Ende mochte man meinen, Ray hätte Faïs direkt vom Totenreich zurückgeholt, so wie Jesus Christus am Karsamstag dorthin stieg, um die Seelen der Gerechten dem Teufel wegzuschnappen), sondern es wurden ihm obendrein sämtliche Tinkturen, Mixturen, Ampullen entrissen, die er mit sich führte.
Da hatte einer ein Furunkel, das nicht heilen wollte, ein anderer ein Hühnerauge. Da litt eine Frau unter Krämpfen während der monatlichen Blutung, und ein Alter meinte zu erblinden.
Ray gab Ratschläge, suchte immer sorgfältig in seinem Holzkarren nach dem geeigneten Mittel und warf – kaum sichtbar für die anderen – dann und wann einen triumphierenden Blick auf Caterina.
Für diese war es erstmals keine Überwindung, ihm zu helfen. Sie ordnete die zusammenströmende Menge, wies sie in eine lange Reihe und nahm für Ray den Lohn entgegen.
»Sieh zu, dass wir was Anständiges zu essen kriegen dafür«, sagte er am Abend, als der Strom der Menschen langsam abriss.
Knurrend zog sich ihr Magen zusammen, als sie zu den Marktständen aufbrach. Wenig zu essen war sie gewohnt, denn der Vater bestand in den Fastenzeiten stets darauf, dass sämtliche Mitglieder seiner Familie nur ein einziges Stück Brot am Tag bekommen sollten. Der Hunger dieser Tage – verstärkt durch langes Gehen, frische Luft und allerlei Aufregung – war ihr jedoch fremd. Sie mochte die mahnende Stimme nicht zum Schweigen bringen, wonach übermäßiger Appetit verboten wäre. Aber letztlich blickte sie doch auch stolz auf die Gaben, die sie zusammentrug: ein Stück in Öl gebratene Forelle, ein Brotlaib aus dem feinen, seltenen Weizenmehl, eine Paste aus Linsen und Zuckererbsen und ein paar getrocknete Feigen.
Langsam ging sie zu Rays Holzwagen zurück. Die nahende Finsternis hatte nun sämtliche Menschen in ihre Häuser getrieben. Einzig eine junge Frau stand bei Ray. Da sie den Rücken zu Caterina gedreht hatte, erkannte diese sie erst, als sie kaum fünf Schritte von den beiden entfernt war; Faïs war es, offenbar wieder gänzlich erholt, denn ihre Wangen waren gerötet.
Ray streichelte über eine dieser Wangen, und wiewohl Caterina ihm gerne den Dank gönnen mochte, den das Mädchen ihm nun schon ein zweites Mal überbrachte, so schlug sie doch die Augen nieder angesichts solch wenig sittsamer Geste.
Faïs schien die Berührung freilich nicht abstoßend zu finden. Eben warf sie den Kopf in den Nacken und brach in ein glucksendes Lachen aus.
»Fabelhaft warst du, liebste Faïs! Erinnerst du dich noch an Sainte-Anne? Kein Mensch wollte damals glauben, du seist tatsächlich krank, doch diesmal ...«
Caterina erstarrte.
»Hab eben dazugelernt«, meinte Faïs keck, »’s genügt nicht, sich mit verzerrtem Gesicht auf dem Boden zu wälzen. Hab mein Gesicht vorher ins Mehl getaucht, damit es ordentlich blass ist. Und habe die Augen so lange über den Rauch gehalten, dass sie tränten.«
»Könnt keine
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