Die Tochter des Ketzers
Eusebius war, eines wohlhabenden Kaufmanns, im Übrigen jener rotgesichtige Mann, der seiner Tochter Werk damals am Hafen beendet hatte.
Sie saß auf einem Stuhl mit hoher Lehne, wohingegen die Männer auf Sofas lagen; ich hatte nicht gesehen, dass sie sich vor dem Mahl die Füße hatte waschen lassen wie die meisten anderen der Gäste. Fast misstrauisch starrte sie auf die köstlichen Speisen, die auf edlen Bronze- und Silberplatten gereicht wurden: zuerst Schnecken, Eier und gesalzene Fische, später Seeigel, Muscheln und Tintenfisch in Dillsauce, Wildschweinrippen und Leber von mit Feigen gemästeten Gänsen, zuletzt Granatäpfel und kleine Honigküchlein.
Julia aß fast nichts davon, sie hatte auch den üblichen Mulsum zu Beginn verweigert – einen mit Honig gesüßten Wein –, nahm nur ein wenig von dem Eintopf aus Linsen und Kastanien und aß – anders als die Übrigen – mit einem kleinen, silbernen Löffel anstatt mit den Fingern. Kein Wunder, dachte ich zuerst, dass sie so mager war. Und dann fiel mir auf, dass sie auf mich blickte.
Gaetanus tat das nicht. Seit Wochen wartete ich. Darauf dass er sich in sein neues Leben fügte und von ihm verändert wurde. Darauf, dass er sich mir – nun, da er von einer knapperen, übersichtlicheren Dienerschar umgeben war – aufmerksamer zuwandte. Darauf, dass er eines Abends, wenn ich ihm den Nacken massieren würde, wieder mit mir spräche, sehnsuchtsvoll von alten Zeiten und von Rom, dass er hochblicken, mich wahrnehmen und fragen würde: »Du vermisst die Heimat auch, nicht wahr?«
Doch es hatte sich nichts zum Guten gewandelt. Nur Unkraut war gewachsen, im Gärtlein meiner Liebe. Sie konnte sich nicht gen Himmel recken, sondern musste am trockenen, staubigen Boden wuchern. Die Traurigkeit hatte ihre dunklen Flügel über mich gebreitet, auch bei jenem illustren Mahle – und ich wusste nicht, was ich tun sollte, um sie abzustreifen.
Julia Aurelia also, die Tochter des Eusebius, sah mich an. Es muss Zufall sein, dachte ich, sie kann nicht mich meinen. Oder sie will, wiewohl bislang den Speisen gegenüber so enthaltsam, dass ich ihr etwas bringe, was ihren Gaumen erfreut. Freilich zögerte ich, zu ihr zu treten, sie zu fragen, und senkte stattdessen meinen Blick.
Ob Gaetanus überhaupt wusste, dass diese Frau mit dem geraden Mittelscheitel, den kleinen Löckchen an den Schläfen und den glänzend gekämmten Haaren, die im Nacken zu einem Knoten geschlungen und von einem Haarnetz zusammengehal- ten waren, die gleiche war, die er damals ungläubig am Hafen gemustert hatte?
Vorsichtig sah ich ihn an, wusste nicht, was ich mir erhoffen sollte. Dass die junge Frau sein Interesse geködert hätte, was hieße, dass er nicht gänzlich blind, nicht gänzlich taub für seine neue Welt war und mir die Hoffnung bliebe, auch selbst seine Achtsamkeit zu erlangen? Oder dass er von ihr so unberührt, so gelangweilt war wie von allen Menschen, was wiederum bedeute, dass ich vielleicht irgendwann die Einzige wäre, die ihn zu rühren verstand? Doch würde das jemals sein?
Da traf mich wieder Julias Blick – wieder oder immer noch? Er war klar und irgendwie stechend, unangenehm, aber gerade darum kraftvoll. Erforderte mich auf, zu ihr zu gehen.
»Soll ich dir frische Feigen bringen, Herrin?«, fragte ich.
»Wie heißt du, Mädchen?«, fragte sie zurück.
Ich hob erstaunt die Brauen. Danach war ich noch nie von ihresgleichen gefragt worden. »Krëusa«, murmelte ich, »mein Name ist Krëusa.«
»Krëusa«, wiederholte sie, und dann fragte sie erneut etwas. »Krëusa, warum bist du so traurig?«
Später fing sie mich auf dem Weg zur Küche ab. Ich hatte ihr nicht geantwortet, wie könnte ich auch! Mochte ihre Frage schon seltsam sein, wie missliebig wäre es aufgefallen, wenn ich mit ihr gesprochen hätte! Ich wollte das auch gar nicht, was ging es sie denn an, warum ich traurig war, wie hatte sie es zudem bemerkt? Ich fühlte mich nicht nur beobachtet, sondern zugleich ertappt, und ich verbrachte den restlichen Abend damit, nicht wieder hochzusehen, möglichst unauffällig zu huschen und nicht in ihre Nähe zu kommen.
Ein wenig länger als erlaubt war ich im Peristylium verblieben, dem kleinen Garten, hier schlichter als in Rom, weil nur von Säulen, nicht von Statuen geschmückt. Man passierte ihn auf dem Weg zur Küche, und wohingegen diese so klein war, dass sich zwischen Herd, Backofen und Wasserabfluss kaum mehr als ßnf Menschen bewegen konnten, labte ich mich
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