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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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bringen, aber wenn wir noch einen Augenblick länger in Carcassonne bleiben oder wenn ich jemals wieder hierhin zurückkehre, dann ...«
    Seine Worte rissen ab. Er hielt sich wieder ächzend die Leibesmitte, aber Caterinas Mitleid – oder zumindest jener Anflug davon, der sie vorhin bei Rays blutüberströmtem Anblick befallen hatte – verlosch augenblicklich.
    »Wie viele Mädchen hast du eigentlich schon entehrt, du übler Schuft?«, stieß sie verbittert hervor.
    »Geht dich nichts an«, schnaubte Ray. Die Schmerzen hatten all seinen Spott vertrieben, ähnlich, wie Caterina kurz vergaß, dass es dem Allmächtigen selbst obliegt, Gerechtigkeit walten zu lassen. Irgendwie traute sie dem fernen Weltenrichter in diesem Augenblick zu wenig, denn jäh zog sie mit einem kräftigen Ruck an dem Wagen, sodass Ray den Halt verlor und sein geschundener Körper zusammenklappte und auf den Boden fiel.
    »He!«, rief er ebenso gequält wie übellaunig.
    Caterina vermochte sich ein grimmiges Lächeln nicht zu verbeißen.
    »Hast noch viel schlimmere Strafe verdient«, sprach sie streng und würdigte ihn keines Blickes mehr.
    Als sie wieder bereit war, mit ihm zu reden, und ihn sein Gesicht nicht mehr zu sehr schmerzte und er wie gewohnt viele Worte machte, hatte sie das absonderliche Lederbeutelchen in der Gürtelschnalle vergessen.
    Rasch hatte Ray seine Pläne den neuen Umständen angepasst.
    »Ist eigentlich gut, dass wir nicht in Carcassonne nach Aragón gingen. Ziehen wir eben nach Peyrepetuse – das ist eine andere Grenzfeste, und ich kenne den dortigen Kastellan.«
    Caterina fragte nicht, woher. Seitdem er die Prügel eingesteckt hatte, suchte sie den Anblick seines Gesichts zu meiden. Die blauen Schwellungen und das getrocknete Blut schienen nur noch augenscheinlicher zu machen, welch gebrochene, liederliche Existenz sich da durchs Leben schleppte und ächzte. Sie tröstete sich damit, ihm entfliehen zu können, kaum dass sie den Bestimmungsort erreicht hatten – und suchte nicht daran zu denken, welche anderen Herausforderungen dort warten mochten.
    In der Nähe der Pyrenäen traf sie ein klammer, feuchter Wind, der eine noch klebrigere Nebelwand als in Carcassonne zwischen den Hügeln und Bergen hin und her trieb, ohne sie verscheuchen zu können. Nie wurde aus den paar einzelnen Tropfen, die der bleiche Himmel spuckte, ein echter Regen – und doch hatte Caterina den Eindruck, der Nässe nicht entkommen zu können. Klamm fühlte sich ihr Gewand an, wenn sie am Abend rasteten, und klamm war es, wenn sie sich mit steifen Gliedern am nächsten Morgen erhob. Der Weg war rutschig, und mehr als einmal musste sie sich an den rauen Zweigen festhalten, die ihr das Gebüsch und die Bäume am schlammzerbissenen Rande des Weges entgegenstreckten.
    An jenem Tag, da sie Peyrepetuse erreichten, hing der Nebel besonders dicht, noch nicht in den Tälern, deren ansonsten grüne Heide und Weinberge grau wie Asche waren, jedoch mit jedem Schritt, der weiter in die Höhe führte. Das Grau wurde undurchdringlich und verschluckte schließlich gänzlich die Burg auf dem schroffen Hügel, zu der Ray wollte.
    Einst war Peyrepetuse ein Rückzugsort des ketzerischen Grafen Guillaume gewesen. Doch nachdem die Franzosen Carcassonne erobert hatten, unterwarf sich der Graf und überließ sämtlichen Besitz König Louis. Jener ließ die ungerade Treppe bauen, die nun zur Burg hochführte und über die sich der Holzwagen nur mit bedrohlichem Knirschen schieben ließ.
    »Verflucht!«, knurrte Ray. Alle Anstrengung fiel ihm nach den Prügeln, die er hatte einstecken müssen, schwerer, und wie Caterina drohte er ständig auszurutschen. Sie verstand seinen Überdruss, zumal sie mehr und mehr das Gefühl hatte, in ein ödes Nichts zu wandern, anstatt an einen menschlichen Ort, und sprach doch streng: »Hör zu fluchen auf!«
    »Droben in Sainte-Marie kannst du beten«, gab Ray unwirsch zurück.
    Grau wie das Wetter schien seine Laune und gewann erst wieder an Farbe, als aus dem wabernden Nebel eine Wand hochragte, schmucklos und rau, aber doch verheißend, dass es hier etwas gab, was von Menschenhand errichtet worden war. Und Ray hatte nicht gelogen – tatsächlich kannte er den hiesigen Kastellan, der den unerwarteten Besuchern zwar misstrauisch entgegenblickte, aber dessen Miene sich sichtlich erhellte, als aus dem grauen Schatten ein vertrautes Gesicht wurde, das Unterhaltung verhieß.
    Ray hatte, als er das letzte Mal von Frankreich nach Aragón

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