Die Tochter des Ketzers
glitschig im Morgentau lagen, und schließlich einen ebeneren Weg auf der anderen Seite der Grenze erreichten, konnte sie nicht umhin, Ray danach zu fragen.
»Wenn ... wenn es Krieg zwischen Frankreich und Aragón gibt«, fragte sie, »was machen wir dann hier? Wer wird uns helfen, wenn wir doch vom Feindesland kommen!«
»Ach was!«, wiederholte er leichthin. »Zum einen gelten wir dort drüben nicht als Franzosen, sondern als Okzitanier. Und die sind dafür bekannt, dass sie Frankreich hassen und sich gerne mit Aragón verbünden. Und zum anderen: Du hast es doch schon gehört! Ist Bruderzwist dort angesagt. Dies Gebiet hier, wo wir nun sind, ist eigentlich nicht Teil von Aragón, sondern vom Königreich Mallorca, und hier herrscht Jaume. Jener wiederum hasst seinen Bruder Pere von Aragón, und das so sehr, dass er im Zweifelsfalle den Franzosen hilft. Offenbar hat er zu diesem Zwecke sogar ein geheimes Abkommen mit dem französischen König geschlossen.«
Caterina begriff noch weniger. »Ich verstehe kein Wort von dem, was du sagst!«
Ray schnaubte ungeduldig. »Siehst du nicht, wie müde ich bin?«
»Das ist gewiss nicht meine Schuld«, konnte sie sich die Antwort nicht verbeißen.
Er schnaubte wieder. »Sei du nur froh, dass ...«, setzte er an, aber ließ den Rest offen. Sie verstand auch so, was er meinte, gleichwohl sie sich jeden Anflug von Dankbarkeit untersagte.
»Was ist nun mit den beiden Königsbrüdern!«, bedrängte sie ihn nach einer Weile des Schweigens.
Er griff sich an den Kopf.
»Lass mich einfach in Ruhe«, bellte er unwirsch. »Mir platzt gleich der Schädel. Morgen sag ich dir mehr.«
Er hielt sich an dieses Versprechen, und in den nächsten Tagen erfuhr Caterina noch mehr von dem fremden neuen Land, in dem sie sich nun befanden.
Von Jaume el Conqueridor, hatte ihr Ray schon einmal berichtet, von dem Misstrauen, das die Franzosen lange Zeit ihm gegenüber hegten, und schließlich von dem Frieden, den Jaume mit König Louis geschlossen hatte und der die Hoffnung der Okzitanier zerschlug, mit Jaumes Hilfe wieder die Unabhängigkeit von Frankreich zu erlangen.
Nach seinem Tod hatte Jaume sein Reich auf seine zwei Söhne aufgeteilt: Pere, der dritte Aragónische König seines Namens, el Gran genannt, erhielt das Kernland Aragón, dazu Katalonien und Valencia. Sein Bruder Jaume, nunmehr König Jaume II., die Baleareninseln und obendrein Territorien auf dem Festland: Cerdagne und das Roussillon mit Collioure, Confient, Vallespir und obendrein Monpellier.
»Und hier«, sprach Ray, »kommen wir zu dem Bruderzwist. Denn wohingegen der Vater seine beiden Söhne als gleichberechtigte Könige sah, fühlte sich Pere als der Ältere zum eigentlichen Herrscher berufen, zwang Jaume, sich ihm zu unterwerfen und den Lehnseid zu leisten. Seitdem mag sich Jaume zwar König nennen, aber letztlich kann er keine freien Entscheidungen treffen. Es heißt, dass obendrein der katalanische Adel, seit jeher mit dem Aragónischen verfeindet, über die Unterwerfung Jaumes so verbittert war, dass sie ihm irgendeinen Vertrag – weiß der Teufel, worüber – abzwangen, sodass sie ihn fast sämtlicher Gewalt beraubten. Kein Wunder also, dass Jaume hofft, die Franzosen mögen seinem Bruder den Krieg erklären und ihn bezwingen, was folglich heißt, dass wir in seinem Gebiet – und dort befinden wir uns – nicht Angst haben müssen, dass man uns für Feinde hält. Puh! Welch schwere Worte, wir sollten rasten!«
Der Himmel war grau wie gestern, die Luft jedoch nicht mehr neblig, sondern schwül.
»Wie kommt’s, dass du so viel weißt von dieser Welt, Ray?«, fragte sie.
Wiewohl er bessere Laune hatte als gestern, wirkte er doch nachdenklich, wartete lange mit der Antwort.
»Bin eben schon eine Menge herumgekommen«, meinte er schließlich, um dann hinzuzufügen: »Mehr als du, Base, wie man sieht. Macht ja nichts! Ich helf dir gerne!«
Es klang spöttisch – und ein klein wenig ärgerlich.
»Pah!«, entfuhr es ihr. »Dass du’s gerne tust, kann ich nicht recht glauben.«
»Aber, aber, ich kann doch meine liebe Base nicht im Stich lassen«, höhnte er. »Und obendrein könnte ich nie ein frommes Werk versäumen.«
Unwillkürlich presste sie den Schatz an sich.
»Wir sollten nicht zu lange rasten!«, drängte sie ihn. »Sagtest du nicht, wir würden bald nach Perpignan kommen – und dort könnte ich mich an den Bischof wenden?«
Er schüttelte seine Glieder, sie schienen wieder heil geworden zu sein,
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