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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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der anderen, die folgten?
    Es war noch vor diesem Mahl – schon verbreitete sich der Geruch der Speisen im ganzen Haus; heute sollten gewürzte Honigsuppe, Lukanische Fleischwürste, Austern in Kümmelsauce und Spanferkel gereicht werden – da wurde ich von Thaïs dabei ertappt, wie ich sämtliche Dinge, die mir Julia geschenkt hatte, vor mir verstreute und sie beglückt ansah.
    »Das hat sie dir alles gegeben?«, fragte sie neidisch. »So muss sie tatsächlich reich sein, wenn sie darauf verzichten kann! Hat sie jemals von ihrem Schatz gesprochen?«
    Ich schüttelte den Kopf. Ja, es war ungewöhnlich, solche Kostbarkeiten einer Sklavin anzuvertrauen – aber offensichtlich hatte mich dieser Schmuck so schön gemacht, dass Gaetanus mich bemerkte.
    »Du könntest mir auch etwas davon geben«, drängte Thaïs, und ihr Blick wurde immer gieriger. Sklavinnen wie unsereins kannten nur Schmuck aus billigen Glasperlen.
    Hastig sammelte ich alle Stücke in meinen Schoß. »Das brauche ich alles selbst!«, zischte ich grimmig und verscheuchte sie.
    Nur widerwillig fügte sich Thaïs, und kaum allein gelassen, begann ich alles anzulegen: die Ketten und das Amulett und die Brosche.
    Bislang hatte ich nie alles gleichzeitig getragen. Doch wenn ich Gaetanus schon auffiel, sobald ich nur eine der Haarnadeln trug, wie würde er mich wohl ansehen, wenn ich ihm überreich geschmückt entgegentrat?
    Schüttelt den Kopf nicht über mich, lacht nicht! Was war ich für ein dummes, leichtgläubiges Mädchen, die ich ihm mit roten Wangen die Speisen servierte!
    Ihr müsst mir eines zugutehalten. Ich brauchte nicht lange, mich selbst des großen Irrtums zu überführen. Anders als die anderen Frauen sprach Julia mit mir, als ich mich über sie beugte und ihr einen Kelch mit Rosenwein reichte.
    »Geht es dir gut, Krëusa?«, fragte sie, »du siehst aus, als hättest du Fieber.«
    Sie strich mir sanft über den Arm. Ich lächelte verlegen, schüttelte den Kopf, wollte ihr andeuten, dass es nicht richtig wäre, hier mit ihr zu sprechen. Nicht vor Menschen, die uns beobachteten.
    So wich ich von ihr zurück, und als ich mich kurze Zeit später wieder umdrehte–ja, da ereignete sich dieser kleine Zwischenfall, der mir ein für alle Mal die Augen öffnete. Ich erkannte die Wahrheit. Meine Welt zerbarst.

Kapitel X.
Mittelmeer, Frühling 1284
    Caterina schlug die Augen auf, die Welt war zerborsten. Nicht einfach nur in zwei Teile gebrochen wie in jener Nacht, da man den Vater erschlagen und das Haus angezündet hatte, sondern in viele kleine Splitter. Sie hatte damals gedacht, dass ein Zerstörungswerk nicht heftiger ausfallen könnte, doch nun wurde sie von einem Schmerz erfasst, der so viel unerträglicher war, so viel grausamer als ihr damaliger Kummer.
    Sie begriff nicht, wo sie war. Jedes einzelne Glied ihres Körpers tat weh ... und zeugte von dem, was geschehen war.
    »Onein!«
    Sie wusste nicht, ob die Worte aus ihrem Mund gekrochen gekommen waren. Sie klangen nicht menschlich, sondern wie ein verwundetes Röhren. Überall schienen Wunden zu klaffen, selbst in ihrer Kehle. Sie hatte nicht geahnt, dass es so viele Arten von Schmerzen gab. Zerfetzende, als würde ihr der Leib entzweigerissen; dumpf pochende, als hätte man ihr den Schädel eingeschlagen; brennende, als läge sie in einer sauren Lache, die ihre Haut zerfraß.
    »O Gott, nein!«
    Doch auch das Reich der Gedanken bot dem geschundenen Leib kein sicheres Asyl. Die Schmerzen zu missachten, den Rückzug zur unsterblichen Seele zu wagen hieß, dort in ein nicht minder schwarzes Loch zu starren.
    Schande.
    Verlust.
    Zerstörung.
    Inmitten der Finsternis ein Schatten, nicht Helligkeit verheißend, nur, dass sie die zersplitterte Welt mit jemandem teilte. Sie sah ihn kaum. Ein riesiges Spinnennetz war über die Welt geworfen, nicht aus Fäden zusammengeflickt, sondern aus den vielen, vielen Scherben. Diese lagen nicht säuberlich ausgebreitet. Ihre spitzen Ränder rieben aneinander, erzeugten ein scheußliches, röhrendes Geräusch. Oder war es ihr eigener Atem, der so klang?
    Wieder der Schatten in ihrer Nähe. Gefolgt von einer Stimme, die einen Namen sprach.
    »Caterina?«
    War das ihr Name?
    Seiner war Ray, das wusste sie noch. Ein nackter Name. Das, was mit ihm verknüpft war, Sünde, Betrug, Skrupellosigkeit, war von ihm abgetrennt – vielleicht von einem der scharfen Splitter.
    »Caterina, was haben sie mit dir gemacht?«
    Seine Stimme kroch langsam zu ihr. Sein Körper war

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