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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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einmal Speichel. Was immer sie da schüttelte und beutelte und zu Boden drückte – sie schaffte nicht, es auszuspucken.
    Ray stellte keine Fragen mehr. Nicht minder zitternd, jedoch erahnend, dass er ihr nicht mit weiteren Fragen zusetzen durfte, hockte er sich zu ihr, umgriff sie mit beiden Armen, presste sie an sich. Er war nicht stärker als sie, nicht furchtloser, nicht gelassener. Aber wer immer er auch war und was er getan hatte – er war einer, der es gewohnt war, Frauen zu halten, zu liebkosen, zu begehren.
    Diesmal wehrte sie sich nicht gegen seine Berührung, sondern ließ sich darein fallen. Da war nichts von dem Starren, Kalten, tödlich Gefährlichen, das Gaspare verströmt hatte, nur die Ahnung von Wärme, von Vertrautheit. Langsam wurde ihr Atem ruhiger, ihr tränenloses Schluchzen leiser. Zuletzt blieb als dritter Zustand neben Nüchternheit und Verzweiflung, die eine so erhaben und erkaltet, die andere so abgrundtief und schmerzhaft, eine Erschöpfung, größer als gewöhnliche Müdigkeit, doch nicht so dunkel wie die Ohnmacht.
    Sie wurde taub für die vielen Geräusche des Schiffes – das Ächzen seines hölzernen Bauches, das Klatschen der Wellen, die gegen den Rumpf aufschlugen, das Huschen der Ratten. Sie lehnte ihren Kopf an Rays Brust, die weich war, und ehe sie einschlief, spukte ein letzter, schon träger Gedanke durch ihren Kopf: Ich will nicht sterben ... trotz allem will ich nicht sterben ...
    Wenig von dem, aus dem sich ihr Alltag aneinanderstückelte, schuf neue Gewissheiten oder bekräftige alte. Caterina und Ray wussten nicht, wohin es ging und was sie erwartete. Sie erfuhren die Namen der Häfen nicht, an denen sie ankerten, fühlten nur jedes Mal, wenn die Bonanova weitersegelte – oft nicht bei Tag, sondern bei Nacht, wie es im Mittelmeer üblich war.
    Und doch setzte Gewöhnung ein an das wenige, was ihrem Tag eine Ordnung schenkte. Aus Akils anfänglich fremdem Gesicht wurde ein vertrautes, denn er war es, der ihnen Tag für Tag zu essen und zu trinken brachte, desgleichen wie er Caterina zu Gaspare führte, damit sie für diesen schrieb.
    Sie war erleichtert, dass ihre Wunden langsam heilten, ihr das Gehen zwar auf lange Zeit noch Schmerzen bereitete, aber sie irgendwann zu bluten aufhörte, und sie war dankbar für das Gefühl, nicht länger bedroht zu sein, nicht unmittelbar zumindest, nicht stündlich. Jedes Mal, wenn sie auf dem Weg zu Gaspare einem Mitglied seiner Mannschaft begegnete, so setzte ihr zwar der Herzschlag aus, und jene völlig steuerlose Furcht schabte an ihren Sinnen. Doch ehe sie sich vollends darein fallen ließ, war der schreckliche Moment schon ausgestanden. Bis auf Akil und Gaspare sah fortan jeder durch sie hindurch, als würde es sie nicht geben – was hieß, dass er sich an ihre Abmachung hielt, gleichwohl er sie mit keinem Wort bekräftigt hatte. Genau genommen blickte auch Gaspare selbst durch sie durch. Sie lernte, dass er nie laut wurde, dass er selten die Anspannung seines Leibes aufgab, dass er jeglichen Befehl sofort und ohne Umschweife ausgeführt sehen wollte. Caterina konnte sich nicht vorstellen, wann und wie er schlief oder dass ihm irgendetwas, was sich auf seinem Schiff zutrug, entging. Und doch war diese stete Wachsamkeit nicht Ausdruck regen Anteils. Er kontrollierte, was er sah – aber es schien ihm eigentümlich gleichgültig zu sein. Sie war sich nach den ersten Tagen gewiss: Wenn sie danach getrachtet hätte, nach seinem Dolch zu greifen und ihn zu meucheln, so hätte er ihr die Hände bereits auf dem Rücken gefesselt, noch ehe sie die erste Regung hätte ausführen können. Doch hätte sie den Dolch genommen, um ihn sich selbst in den Leib zu rammen, so hätte er mit seinem starren Blick dabei zugeschaut und schließlich wortlos mit den Fingern geschnipst, auf dass Akil die nun wertlose Leiche fortschaffe.
    Nie vergaß sie, dass er da war, und zugleich gewöhnte sie sich an seine Nähe, weil sie so unaufdringlich, so unauffällig war. Ihr Unbehagen wuchs, aber ihre Furcht mäßigte sich.
    Das, was sie für ihn schreiben sollte, folgte einer klaren Ordnung. Entweder ging es um Eintragungen ins Bordbuch, das, wie sie lernte, nur in Gegenwart des Kapitäns geöffnet werden durfte und worin der Reiseverlauf und sämtliche Vorkommnisse, die sich während der Fahrt zutrugen, festgehalten wurden, desgleichen die Reisezeit, welche je nach Witterung schwankte: aus früheren Einträgen konnte sie ablesen, dass die Strecke von

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