Die Tochter des Ketzers
gewahrte sie, dass er etwas fragen wollte.
»Ist es wahr, dass du lesen kannst?«, sprach er da schon.
So verschlossen und unberührt sein Blick auch war, anders als Gaspares strahlte er keine Kälte und Gleichgültigkeit aus, sondern eine ebenso stille wie tiefe Traurigkeit. Sie war nicht bereit, sein Wesen zu ergründen, aber sie stellte fest, dass er sogar noch jünger war, als sie vorhin vermutet hatte, höchstens zwölf Jahre alt.
Ein Kind noch. Kein Mann.
Sie antwortete nicht auf seine Frage. »Dass du ... dass du vorhin gekommen bist, um mich vor den Männern zu schützen ... Gott wird es dir lohnen.«
Seine Augen, dunkel wie die von Gaspare, schienen warm zu werden, feucht.
»Mein Gott ist nicht der deine«, erklärte er schlicht.
Caterina riss die Augen auf. Bei aller Benommenheit, bei aller Taubheit sämtlicher Gefühle war diese Offenbarung doch überraschend ... und beängstigend.
Ein Heide, durchfuhr es sie, und sie schlug die Augen nieder, um ihn nicht ansehen zu müssen, als ob sein Blick – nun, da sie wusste, wer er war – ein Gift verströmen könnte. Akil freilich schien sich nicht daran zu stören, sondern blieb einfach stehen, und da sie den Weg nicht kannte, musste sie wohl oder übel auch verharren. Zögerlich blickte sie schließlich wieder hoch, musterte ihn aus den Augenwinkeln, sah den gleichen, schmächtigen, dunklen Knaben wie vorher, still, sanft und doch bereit einzuschreiten, wenn es darauf ankam.
Nein, ging ihr auf, nein, sie wollte ... sie durfte ihn nicht mit Abscheu kränken.
»Also«, wiederholte er leise und stieß sie wieder vorsichtig an den Schultern an, »kannst du lesen?«
Durfte sie sich von ihm berühren lassen? Wie abträglich mochte das ihrem Seelenheil sein? Und was hatte der Vater über die Heiden gesagt?
Sie wusste es nicht – und eigentlich war es ihr auch gleich. Was immer Akils Bekenntnis ausgelöst hatte, war nicht kraftvoller als ein Echo. Er zog sein Gewicht aus der Vergangenheit, nicht aus der Gegenwart. In der Vergangenheit galt es, ein frommes, gottgefälliges Leben zu führen – in der Gegenwart jedoch, dass ein Heide dieses Leben gewiss nicht mehr beschmutzen konnte als das, was ihr geschehen war und an dem sich fortan alles andere zu messen hatte.
»Ja, ich kann schreiben«, sagte sie dann.
»Kannst du es mir zeigen?«
»Warum«, fragte sie zurück, »warum lebst du an der Seite von Gaspare?«
Er seufzte wehmütig. »Weil ich muss.«
Ein zweites Mal seufzte er, ging nun endlich weiter und begann, da sie schon meinte, er würde nichts weiter als diese knappen Worte offenbaren, seine Geschichte zu erzählen, stockend, ein wenig jenem Rhythmus folgend, dem ihre Schritte unterlagen. Immer noch fühlte sie sich zu wund, um schnell und auf- recht zu gehen. Und so wie sie hinkte, von Schmerz und grauenvoller Erinnerung beschwert, so berichtete auch er gequält.
Er kam aus der Nähe einer Stadt, die Collo hieß und an der Nordküste Ifriquas lag, nicht weit von Tunis, wo das Geschlecht der Hafsiden herrschte. In jenes Gebiet war König Pere vor einigen Jahren auf seinem Kreuzzug vorgedrungen, mit dem er aller Welt – vor allem einem feindlich gesinnten Papst – bekunden wollte, dass er nicht nur gierig nach Eroberung war, sondern vor allem ein guter Christ.
»Zwar wollte er nicht das Heilige Land erobern, aber zumindest Tunis, um dort die Heiden zu bekehren.«
Akil machte eine kurze Pause. Nein, berichtigte er sich, eigentlich wär’s dem König nicht darum gegangen, die Heiden zu bekehren, sondern sie auszurauben, zu verjagen oder in Stücke zu hauen.
»Seine Armee war jedoch nicht stark genug, um Tunis einzunehmen. So besetzte er eben Collo. Dort sind all jene meines Volkes, die nicht rechtzeitig ins Hinterland fliehen konnten, entweder versklavt oder abgeschlachtet worden.«
Akil schloss seine Erzählung, als wäre damit alles gesagt, als wären sämtliche Ereignisse – Angriff, Kampf, Plünderungen, Raub, Schändung, Ermordung – abgehandelt. Einzig das leise Grauen in seiner Stimme kündete davon. »Ich hatte damals das Glück, dass ich Gaspare in die Hände fiel.«
Caterina, bislang auf ihre Schritte achtend, blickte hoch. »Gaspare? Aber er hat doch kein Herz!«
Akil zuckte die Schultern.
»In jedem Falle aber viel Verstand ... meine Familie bringt ... brachte seit Jahrhunderten Meister des Schiffsbaus hervor. Einst waren es Dromonen, die sie bauten, schon Kriegsschiffe, aber noch unausgereift, mit zwei Ruderreihen und
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