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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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hört, so denkt man, du legst es darauf an, gewaltsam unterzugehen. Dein Vater ist anders, das weißt du.«
    Wieder entfuhr ihr ein verächtlicher Ton. »Mein Vater ist ein Feigling, der gern den Kopf einzieht. Doch das ist nicht, was unser Herr von uns verlangt. Ich bin gekommen, um das Feuer auf die Erde zu werfen, hat er gesagt. Und auch: Wie wünschte ich, sie würde schon brennen!«
    »Julia!«
    »Es ist doch wahr! Es wurde uns kein Frieden auf dieser Welt versprochen. Nur das Schwert, das sich gegen uns richtet, uns zu fällen sucht ...«
    »Hast du überhaupt eine Ahnung, wie schmerzhaft dieses Schwert zustechen kann?« Diesmal war es Marcus, der sie anschrie. »Der Tod ist nicht ehrenvoll«, fügte er gemäßigter hinzu, »er ist schmutzig und qualvoll und blutig ...«
    »Aber er spricht nicht das letzte Wort!«, entgegnete sie ihm heftig. »Er ist nicht das Ende, sondern nur der Beginn von etwas Neuem, etwas viel Großartigerem, als diese elende Welt bieten könnte! Und deswegen sollten wir uns nicht vor ihm fürchten, sondern ihm freudig und entschlossen entgegengehen!«
    Der schrille Klang in ihrer Stimme war mir vertraut. Und dennoch machte er mir in diesem Augenblick Angst. Es lagen nicht nur übliche Auflehnung und Empörung darin; es brach zudem etwas wie Lust aus Julia hervor, Lust zu zerstören, Lust, bis zum Äußersten zu gehen, gleich, welches Opfer es erforderte. Ihre Augen glänzten, schienen aber für die anderen gänzlich blind zu sein.
    Sie lässt niemanden an sich heran, ging mir plötzlich auf. Sie sieht keinen Menschen.
    Nie hätte ich gedacht, dass sie Gaetanus so ähnlich sein konnte.
    Eine Weile rang ich mit mir, mich nun doch verspätet zu erkennen zu geben, schüttelte dann den Kopf, trat von der Türschwelle zurück.
    Es war mit einem Mal so klar, was zu tun war.

Kapitel XII.
Mittelmeer, Frühsommer 1284
    Caterina versuchte wieder zu beten – und es gelang ihr in den nach Schlaf schmeckenden Morgenstunden, da ihr Geist noch schlaff war.
    Dann folgte sie jenem Ritual, das über alle Schande, über den Dreck und den Gestank hinweg erstaunlich selbstverständlich zu befolgen war. Sie kniete sich hin; sie faltete die Hände, sie sprach das Pater noster. Sie fühlte nichts als Gleichgültigkeit dabei – doch gerade jene Empfindung wurde zum größten Labsal.
    Nach ein paar Tagen fühlte sie sich von der Gleichgültigkeit ausreichend gereinigt, um sich von Ray ihren Schatz wiedergeben zu lassen, und sie starrte das vergoldete Kästchen nicht ehrfürchtig an, sondern fast verwundert darüber, dass es etwas gab, was am heutigen Tag genauso aussah wie in der Zeit vor der Schändung, dass es offenbar zu heilig war, um von ihrem Leben angetastet zu werden. Vielleicht war alles nur eine vorübergehende Prüfung, ging ihr unwillkürlich durch den Kopf. Hatte ihr Vater nicht einst den irdischen Menschen mit einem Seefahrer verglichen, der im schwankenden Kahn auf stürmischem Meer den Gefahren trotzen muss, die ihn umlauern? Und hatte er nicht geraten, nicht nach dem eigenen Weg zu suchen, sondern sich treiben zu lassen und sich auf die rettende Hand Gottes zu verlassen?
    Wenn sie sich nur lange genug leblos stellte, wenn sie nur lange genug alte Hoffnung beschwor, dass ein Mensch, war er nur fromm genug und ohne Laster, vor allem Ungemach geschützt sei – vielleicht würde sie dann irgendwann den sicheren Hafen erreichen.
    So schleppte sich Tag um Tag an ihr vorbei; ihre Schmerzen vergingen, ihre geschundene Haut wurde heil. Akil kam regelmäßig mit dem Essen, und während er ihnen anfangs noch Tonvasen gebracht hatte, damit sie sich erleichtern konnten, führte er sie nunmehr einmal am Tag zum Lokus des Schiffs – nichts weiter als eine Holzbank, an der einen Seite des Vorderschiffs angebracht, durch die ein Loch zum Meer hinunter durchgeschlagen worden war. Anfangs war es für Caterina peinvoll, sich von dem Knaben stützen zu lassen, wenn sie die rutschige Leiter dort hinaufkletterte, und umso grauenhafter war jener Akt, da die kaum vernarbte Öffnung ihrer Scham beim Wasserlassen wie Feuer brannte, aber mit der Zeit ließ diese Qual nach, und der Gang zum Lokus wurde zur Gewohnheit.
    Jenes Gleichmaß freilich, das in ihr dumpfe, leblose Gleichgültigkeit zeugte, begann Ray aufzureiben. Schlotternd, zitternd, bleich hatte er die ersten Tage zugebracht, hatte sämtliche Ängste benannt, die er ausstand, und Caterina zugleich durch die schlichte Anwesenheit seines warmen Körpers

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