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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Schwierigkeit sein, wo ich doch ein Jonglar bin!«
    Sie gab nicht zu erkennen, ob sie seinen Worten lauschte, aber er fuhr fort: »Ich kenne Geschichten, viele Geschichten. Ich werde sie erzählen ... ich kann gut erzählen, weißt du das? Die Leute haben mir gerne zugehört, nicht alle, aber viele. Ich kenne den ganzen Flamenca. Weißt du, was das ist? Ein alter okzitanischer Roman, der an sämtlichen Höfen gelesen wurde. Fast auswendig kann ich ihn sprechen. Und auch ›Erec und Enide‹ oder den Arthur-Roman von Chrétien de Troyes; ›Cléomades‹ von Adenet le Roi schließlich.«
    Seine Schritte beschleunigten sich, er begann wieder, sie zu umkreisen.
    »Soll ich erzählen? Soll ich?«
    Sie sah nicht einmal hoch.
    »Ich kann ebenso die verschiedenen Musikinstrumente nachmachen. Die wenigsten konnte ich mir selber leisten, aber weißt du: Wenn ich die Lippen gekonnt bewege, so klingt es alsbald wie die Harfe, Drehleier, Flöte und Pfeife, ich kann die Geige nachmachen und auch die Rotte; und vielleicht bringe ich obendrein die Hirtenflöte zustande, die Schalmei oder die Mandoline. Soll ich? Ich habe so viel Musik gemacht ... du hast es gar nicht ausreichend erlebt an meiner Seite. Ich kann auch singen und gleichzeitig Purzelbäume machen; ich kann mit einem vollen Becher in der Hand tanzen, und ich kann durch brennende Reifen springen.«
    Seine Worte wurden immer schneller, immer hektischer. Er verschluckte viele von ihnen, sodass Caterina ihn kaum mehr verstehen konnte – wenn sie es denn überhaupt versucht hätte.
    »Das alles weißt du nicht, weil ... weil ich in der Zeit, da ich mit dir zog, eben lieber Arzneien verkauft habe. Das kann ich nun mal auch. Und man muss vieles können, um sich durch- zubringen. Ich habe mich auch immer durchgebracht, verstehst du?« Er schrie nun. »Ja, ich habe mich durchgebracht. Überall kannte ich Menschen. Auch wenn man mich mal aus einem Dorf vertrieben hat – es ging doch immer weiter. Verdammt! Es ging immer irgendwie weiter! Immer ist mir etwas eingefallen, um nicht zu hungern! Es war so leicht, jeder kann sich durchbringen ... nur an einen falschen Glauben darf man nicht zu viel Zeit verschwenden, sonst landet man auf dem Scheiterhaufen. Das ist alles, was zählt, das ist alles. Ansonsten gibt’s so viele Tricks, so viele Ränke, um zu überleben. Verdammt! Verdammt! Ich will hier endlich raus!«
    Er war vor einer der Wände stehen geblieben, schlug dagegen, diesmal nicht nur einmal, sondern mehrmals. »Verdammt, verdammt, verdammt! Ich will hier raus! Ich will frei sein! Man soll mich von diesem Schiff lassen, sonst verliere ich den Verstand! Verdammt! Verdammt!«
    »Hör zu fluchen auf«, sagte sie kalt.
    »Ich fluche, so viel ich will!«, schrie er.
    »Machst du unsere Lage besser, wenn du dich wieder gegen Gott versündigst?«
    Er trat von der Wand zurück, schritt wieder auf sie zu und beugte sich zu ihr herab. Vorhin war er ihrem Blick ausgewichen, jetzt schien er mit glühenden Augen durch sie hindurchzustarren, ein wenig so wie Gaspare, den nichts erreichte.
    »Warum sollte ich mich nicht gegen Gott versündigen? Würde er mir helfen, täte ich es nicht? Du hast dich nie gegen ihn versündigt. Du hast ihn gefürchtet, hast zu ihm gebetet, hast sämtliche Gebote eingehalten. Aber hat er dich etwa bewahrt vor den Männern, die dir die Kleidung vom Leib gerissen haben und ihre geilen Schwänze in dich gestoßen? Hat er das?«
    Leise, wie von weiter Ferne begann es in ihren Ohren zu rauschen. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen.
    Trotzdem blieb ihre Stimme kalt. »Sprich es nicht aus, Ray. Sprich es nicht aus.«
    Sein Blick wurde weich und feucht.
    »Es tut mir so leid«, murmelte er, »es tut mir so leid.«
    Er fiel in sich zusammen, ließ seinen Kopf in ihren Schoß sinken, klagte nicht mehr – sondern weinte einfach nur.
    Das Grummeln in ihrem Magen beschwichtigte sich, das Rauschen in ihren Ohren auch. Deutlich konnte sie nun sein Schluchzen hören, und wiewohl ihre eigenen Augen trocken blieben, drang es durch ihre Starre und Nüchternheit. Sie hob die Hand. Diese fühlte sich taub an, als flösse kein Blut darin, aber sie beherrschte sie doch ausreichend, um sie auf Rays verschwitztes, klebriges Haar zu senken und vorsichtig zu streicheln.
    Lange erlebte Caterina Gaspare ausschließlich so verschlossen und unbeteiligt wie an jenem ersten Nachmittag, da er sie zu sich gerufen hatte. Er diktierte, und anschließend musterte er das Geschriebene

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