Die Tochter des Königs
Zwei Stufen auf einmal nehmend, lief Rhodri hinauf, dicht gefolgt von Jess. Nur eine der Türen, die vom Treppenabsatz abgingen, war geschlossen, und in ihrem Schloss steckte ein Schlüssel. Rhodri bedeutete Jess, einen Schritt zurückzutreten, schlich auf Zehenspitzen näher, drehte den Schlüssel um, schob die Tür auf und lauschte. Beide hörten das Stöhnen eines Mannes.
»William?« Jess wollte den Raum betreten.
Rhodri hielt sie am Arm zurück. »Lass mich als Erster gehen.« Er stieß die Tür ganz auf, trat ein und sah sich um.
William lag angezogen auf dem Bett, sein Gesicht war fahl, ein Auge war stark geschwollen.
»William? William, o mein Gott, was hat er mit dir gemacht?« Jess lief zu ihm.
William versuchte sich aufzusetzen, fiel aber ächzend sofort wieder ins Kissen. »Er hat mir was über den Kopf gezogen«, murmelte er. »Ich kann nicht richtig sehen.«
»Ist Daniel hier?« Rhodri war sofort zum Fenster getreten, er konnte direkt auf das Tor der Villa sehen.
»Abgehauen.« William klang sehr schwach. »Er hat mir was gegeben. Irgendeine Droge. Und von meinem Handy angerufen.« Er deutete kraftlos auf das Nachttischchen, auf dem sein Mobiltelefon lag.
»Also, mein Bester, können Sie aufstehen?« Rhodri trat ans Bett. »Draußen steht unser Wagen. Ich schlage vor, dass wir Sie von hier wegbringen, bevor er wiederkommt. Wem gehört dieses Haus?«
William schüttelte den Kopf. »Ich hab niemanden gesehen.« Verwundert starrte er Rhodri an. »Wer sind Sie?«, murmelte er.
Rhodri grinste. »Ein Freund von Jess aus Wales. Edler Retter in der Not mit scharfem rechtem Haken. Stets zu Diensten. Sagen wir mal, ich bin Daniels Nemesis. Also, mein Bester, jetzt schauen wir mal, ob Sie sich auf den Beinen halten können.«
Mit vereinten Kräften gelang es Jess und Rhodri, William in eine aufrechte Position zu bringen und ihm über die Treppe nach unten zu helfen, wo sie ihn auf den Rücksitz bugsierten.
Als Rhodri vom Bordstein anfuhr, warf er einen Blick in den Rückspiegel. Wie aus dem Nichts war ein Mann aufgetaucht, der jetzt mitten auf der Straße stand und ihnen nachschaute.
»Jess darf keine Sekunde länger hierbleiben.« Steph schüttelte heftig den Kopf. Sie saßen alle in Kims Wohnzimmer. »Daniel hat Schlüssel zum Haus, zum Garten und zur Wohnung, und er wird immer dreister. Entweder du gehst zur Polizei, Jess, oder du fährst nach England zurück. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«
Auf dem Rückweg hatten Jess und Rhodri William ins nächste Krankenhaus gefahren. Er hatte Prellungen am ganzen Körper und konnte sich nicht richtig orientieren. Der Arzt hatte darauf bestanden, ihn zur Beobachtung über Nacht im Krankenhaus zu behalten. Bevor sie sich verabschiedeten, hatte William ihnen verboten, zur Polizei zu gehen.
»Das ist eine persönliche Sache zwischen mir und Daniel«, stieß er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. »Ich will die Polizei nicht einschalten. Denkt nur an die ganzen Komplikationen, die das mit sich bringen würde.«
»Es ist alles meine Schuld. Meine bloße Anwesenheit bringt euch alle in Gefahr«, sagte Jess bedrückt. »Daniel muss völlig ausgerastet sein. Wenn er William bedroht und kidnappt, dann kennt er keinerlei Skrupel mehr.«
»Wir müssen ihm Einhalt gebieten«, sagte Steph mit Nachdruck.
»Und zwar bald«, stimmte Kim zu.
»Und das machen wir am besten in England«, warf Rhodri ein. »Wenn er dir nach Hause folgt, gehen wir dort zur Polizei und erzählen ihnen, dass er dir nachstellt. Gegen Stalking gibt es Gesetze. Und die beste Waffe überhaupt ist, wenn du seiner Frau erzählst, was passiert ist. Dann ist es für ihn sinnlos, dich zum Schweigen bringen zu wollen. Selbst wenn sie dir nicht glaubt, ist die Sache zumindest ausgesprochen.«
»Und du hast noch eine Geheimwaffe. Carmella.« Steph grinste. »Mit ihr auf deiner Seite bist du ihm immer einen
Schritt voraus, und deine Spione sind ihm ständig auf den Fersen. Immerhin hat sie gespürt, dass etwas nicht in Ordnung war, als du in Ty Bran warst, und da hat sie dich noch nicht einmal gekannt.« Sie schwieg kurz. »Tja, und wo ist Daniel jetzt?«, fragte sie. »Er ist immer noch da draußen.«
Jess regte sich unbehaglich, öffnete die Augen und schaute zum Fenster. Es war noch dunkel. Sie lauschte angespannt. Um sie her herrschte nächtliche Stille, hier war sie in Sicherheit. Die Fenster waren verschlossen, die Läden verriegelt. Als Rhodri nach der Leiter gesucht hatte,
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