Die Tochter des Königs
»Achte gar nicht drauf, Jess. Die Genugtuung darfst du ihm nicht geben. Daniel, ich glaube, es ist Zeit, dass du gehst. Die Stalking-Gesetze in Italien werden ziemlich streng gehandhabt.« Lässig schob Rhodri sich aus dem Stuhl hoch und schaute auf Daniel herab. Jess unterdrückte ein Lächeln. Rhodri war ein großer, kräftiger Mann. Daniel fühlte sich sofort genötigt, ebenfalls aufzustehen.
»Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt«, erwiderte er selbstgerecht und wandte sich zum Gehen. Dann hielt er inne. »Und mit den Stalking-Gesetzen, da hast du Recht«, sagte er über die Schulter. »Ich bin wegen Jess selbst schon bei der Polizei gewesen. Wenn du wirklich zum Flughafen gefahren wärst, wärst du von einem Polizisten in Empfang genommen worden, der dich zum Flugzeug gebracht und sichergestellt hätte, dass du nie mehr nach Italien einreisen darfst!«
Damit marschierte er davon.
»Nein, Jess, nicht!«, befahl Rhodri streng und packte sie wieder am Arm, um sie am Aufstehen zu hindern. »Wir wissen beide, dass das Quatsch ist. Jetzt ist er völlig übergeschnappt. Lass ihn gehen.«
»Der Schuft!« Jess kochte vor Zorn.
»Er will dich nur provozieren, und das ist ihm gelungen. Er ist eine falsche Schlange. Zumindest habe ich jetzt selbst einmal miterlebt, wie er sich aufführt.« Er ließ Jess los. »Trink deinen Kaffee. Jetzt müssen wir uns etwas einfallen lassen.«
»Du glaubst also nicht, dass er mich bei der Polizei angezeigt hat?«
»Nie im Leben. Außerdem, so leicht geht das nicht. Wenn jemand mit einer solchen Geschichte aufs Revier kommt,
glauben sie die nicht so einfach. Das gilt für dich leider auch. Sie würden Beweise verlangen.«
»Ich kann gar nicht glauben, dass er mir hierher gefolgt ist. Ich war so zuversichtlich. Du hast mir das Gefühl gegeben, dass ich hier sicher bin.«
Er verzog das Gesicht. »Es tut mir leid. Ich habe ihn unterschätzt.«
Jess trank einen Schluck Kaffee. Er war kalt geworden. »Das war schlau von ihm, Nat davon zu erzählen. Was immer ich jetzt sage, sie wird mir nicht glauben. Keiner wird mir noch glauben, ganz egal, was ich sage. Und einen Job bekomme ich auch nie wieder.«
»Das glaube ich nicht. Aber jetzt sollten wir wirklich einen richtigen Schlachtplan entwerfen. Wir warten noch ein bisschen ab und schauen, was er macht. Solange du bei mir bist, bist du vor ihm sicher. Und ich glaube, William ist auch nicht mehr in Gefahr.«
»Aber hat er denn keine Angst davor, was William sagen könnte?«
Rhodri überlegte eine Weile. »Ehrlich gesagt, das bezweifle ich. William ist in dich verliebt.« Er hob abwehrend die Hand. »Doch, das ist er! Seine Aussage würde also nicht als unparteiisch gewertet werden. Kennt ihr beide Daniels Frau?«
»Nat? Ja, sicher. Wir sind alle seit Jahren Kollegen und befreundet. Natürlich kennen wir sie.«
»Hmm.« Rhodri lehnte sich nachdenklich zurück. Dann runzelte er die Stirn. »Jess, was ist?« Sie starrte mit aufgerissenen Augen über die Terrasse. »Ist er wieder da?« Er folgte ihrem Blick.
»Da ist Eigon«, flüsterte sie. »Schau.«
»Ich kann sie nicht sehen.« Rhodri ließ den Blick über die Terrasse schweifen. Dort gingen mehrere Leute umher,
eine Kellnerin steuerte mit einem Tablett in den Händen auf den Nebentisch zu. Unbehaglich verzog Rhodri das Gesicht. »Sag mir, was du siehst.«
Abrupt drehte Jess sich zu ihm. »O Mist! Du denkst, ich bilde es mir nur ein. Vielleicht stimmt’s ja auch.« Sie seufzte. »Sie ist nicht mehr da. Natürlich ist sie nicht mehr da. Was sollte sie schon hier suchen, in Gottes Namen. In einem Hotel!«
»Dieses Hotel steht, wie wohl jedes Gebäude in Rom, auf uralten Ruinen, Jess«, sagte er sacht. »Eigon kann in ihrem Leben überall gewesen sein. Und wer sagt, dass sie damals überhaupt hier gewesen sein muss? Vielleicht sucht sie nach dir.«
Unglücklich sah Jess zu ihm. »Meinst du?«
Er lächelte. »Wenn du sie gesehen hast, muss es einen Grund dafür geben.«
»Wenn.« Sie zuckte mit den Achseln. »Wenn das Wörtchen wenn nicht wär! Glaub nicht, ich hätte mich nicht gefragt, ob Daniel nicht vielleicht Recht hat. Wer sagt denn, dass ich nicht tatsächlich den Verstand verloren habe?«
»Dann trifft das auf deine Schwester aber auch zu. Sie hat Eigon genauso gesehen.«
»Das ist nicht so klar. Steph glaubt, dass es in Ty Bran spukt, mehr nicht. Es ist ein altes Haus, da gibt es immer komische Geräusche und dunkle Schatten …« Sie verstummte abrupt.
Rhodri
Weitere Kostenlose Bücher