Die Tochter des Königs
eine wegwerfende Geste. »Unser Nachbar auf der einen Seite hat sich letztes Jahr auch taufen lassen. Er kommt zu den Versammlungen bei uns im Haus. Der Senator auf der anderen Seite ist ein alter Freund meines Großvaters. Er wird bestimmt alle Gerüchte über uns ignorieren. Mittlerweile muss er aber eine Ahnung haben.« Sie lächelte, und der traurige Ausdruck verschwand aus ihren Augen. »Aber du magst Julius gut leiden, oder nicht?«, fragte sie.
Eigon nickte.
»Und sein Glaube wäre kein Problem für dich?«
Eigon schüttelte den Kopf. »Mir gefallen die Geschichten über euren Jesus und seine Wunder sehr gut. Und nach allem, was ich gehört habe, war er einer der größten Heiler aller Zeiten.« Sie grinste. »Wenn ich ehrlich bin, glaube ich, ist Melinus fast schon davon überzeugt, dass euer Jesus im Grunde ein Druide war.«
Im ersten Moment sah Antonia schockiert drein, dann lachte sie. »Vielleicht war er das ja auch.«
»Weißt du, Julia mag Julius sehr gern.« Abrupt wechselte Eigon das Thema.
»Ich dachte, sie ist in den jungen Flavius verliebt. Du hast doch gesagt, dass die beiden schon seit Jahren ein Paar sind.« Antonia lächelte. »Sie steckt ständig mit ihm zusammen.«
Eigon nickte. »Sie waren schon als Kinder gut befreundet. Das Problem ist, dass Flavius ihr gesellschaftlich nicht ebenbürtig ist. Sein Vater ist bei uns Haushofmeister. Er ist ein Freigelassener, Julias Onkel war Statthalter in Britannien. Sie könnte Flavius nie heiraten. Das weiß er genauso gut wie sie. Seit dem Abend, an dem wir euch kennengelernt haben, hat sie ein Auge auf deinen Bruder geworfen.«
Seufzend lehnte sie sich zurück. »Wie gefällt es dir, dass zwei Frauen in deinen Bruder verliebt sind?«
»Ah! Du bist also doch in ihn verliebt!«, rief Antonia.
Eigon lächelte. »Aber nur eine von uns hat echte Aussichten, und das ist Julia. Er könnte es sehr viel schlechter treffen. Ihre Familie ist reich und hat gute Verbindungen. Und ihre Tante ist Christin.«
Antonia schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Aulus Plautius weiß immer noch nichts davon! Ich denke, er würde Julia nicht mal in die Nähe von Julius lassen, wenn er wüsste, dass wir Christen sind.« Abrupt unterbrach sie sich und drehte sich zum Haus um. »Wer ist da?«
Niemand stand im Eingang.
Eigon zog die Stirn kraus. »Was ist?«
»Da war jemand und hat uns zugehört! Ich bin mir sicher! Wer immer es war, hat jedes Wort, das ich gesagt habe, verstanden.« Vor Schreck war Antonia alle Farbe aus dem Gesicht gewichen. Sie sprang auf, lief zum Eingang und schaute sich im Atrium um. Da war niemand, überall herrschte schläfrige Nachmittagsstille.
»Ich glaube nicht, dass jemand etwas gehört hat«, flüsterte sie, als sie zu Eigon zurückkam. »Aber wir müssen vorsichtig sein. Sogar hier gibt es Spione.«
Vor allem hier. Melinus hatte Eigon schon vor langer Zeit gewarnt, vor Aelius auf der Hut zu sein. Wenn er gelauscht hatte, wie viel von ihrer Unterhaltung hatte er dann verstanden? Ihr wurde bang.
Aber Antonia lachte schon wieder. »Ich rede Unsinn! So sicher wie hier ist es sonst nirgends!«
»… Sicher! So sicher wie hier …«
Die Worte hallten in Jess’ Kopf wider. Sie war erneut aufgewacht und sah sich im Zimmer um. Es war noch dunkel,
aber die ersten Sonnenstrahlen fielen durch die geschlossenen Fensterläden auf den Teppich.
Eigon hatte Petrus kennengelernt. Aufgeregt setzte Jess sich im Bett auf. Hatte sie das nur geträumt, oder war es wirklich passiert? Wieder schaute sie sich um und erwartete fast, schattenhafte Gestalten um sich zu sehen, Männer in Togen, Frauen in wunderschönen farbenfrohen Gewändern mit einer Stola um die Schultern, und in ihrer Mitte der weißhaarige alte Mann, der mit so viel Liebe und Wärme seinen Segen spendete, dass selbst sie, Jess, es zu spüren vermeinte. Und die beiden Mädchen, die in der Nachmittagssonne zusammensaßen und sich über die Liebe unterhielten.
Jess warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, unvermittelt kehrten die Ereignisse des vergangenen Tags zurück. Es war kurz nach sechs, die Schatten hatten sich aufgelöst. Müde stand sie auf und öffnete die Fensterläden. Die Straße lag im Licht der frühen Morgensonne, es herrschte bereits reger Verkehr. Leise klopfte es an der Tür.
»Jess, bist du wach?« Sie entriegelte die Tür und Steph trat ins Zimmer. »Kim hat Jacopo gebeten, ein Taxi zu bestellen. Wir helfen dir mit dem Gepäck.«
Jess drehte sich um. »Lass mich kurz
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