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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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zusammen. »Er hört auf mich.«
    »Ach ja? Wirklich?« Wenn es ihr nur gelingen würde, ihn aus dem Zimmer zu locken, nach draußen auf die Straße, dann hätte sie eine Chance zu entkommen. Hier, in diesem Zimmer, war sie ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. »Ich könnte dich ja hinbringen«, sagte sie beiläufig, fast widerwillig. »Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, wo es ist, aber ich weiß, welchen Weg sie genommen haben. Ob das Dorf wohl noch steht?«
    »Was haben sie denn vor?« Jetzt richtete Daniel sich auf. »Erzähl mir doch.«
    »Sie besprechen, was sie tun sollen.«
    »Wenn sie die Gefangenen herausholen wollen, das ist aussichtslos«, sagte er höhnisch. »Das ist unmöglich. Hast du die Gewölbe gesehen?«
    Jess schauderte. Er wusste, was in ihrer Geschichte passierte. Er war ein Teil davon. Er konnte das sehen, was sie auch sah, aber durch die Augen einer anderen Person. »Ich bin heute im Mamertinischen Kerker gewesen«, sagte sie so ruhig wie möglich. »Da hat auch der heilige Petrus seine
letzten Tage verbracht. Über dem Gefängnis haben sie eine Kirche errichtet. Draußen steht eine Tafel mit einer Inschrift. Ich habe sie nicht ganz verstanden, aber sie besagt so etwas in der Art, dass man sich die Aufenthaltsdauer im Fegefeuer verkürzt, indem man eine Wallfahrt dorthin unternimmt.« Das war völlig absurd. Jetzt klangen sie wie zwei Historiker, die sich über die Wechselfälle der Geschichte austauschten. »Es gibt noch andere Gefängnisse, und zwar auf dem Esquilin, hast du das gewusst? Im Mamertinischen Kerker war nicht genug Platz für alle Gefangenen. Die Häuser von Leuten wie Felicius Marinus und Julius, die im großen Feuer abgebrannt waren oder die abgerissen worden waren, um eine Brandschneise zu schlagen, wurden dem Erdboden gleichgemacht. Nachdem die einmal weg waren, stand Nero nichts mehr im Weg, seinen unglaublichen Vergnügungspalast zu bauen. Aber bevor es dazu kam, wurden die Keller der ganzen Häuser in Kerker verwandelt, in denen sie die Gefangenen unterbrachten, die er den Löwen vorwerfen wollte.« Sie verschränkte die Hände, um das Zittern zu unterdrücken. »Titus ist ein schlauer Mann. Wenn er dich hören kann, wenn er dich sehen kann, fragt er sich doch bestimmt, wie das funktioniert, genauso wie du und ich uns das fragen. Wenn er weiß, dass du weißt, wo sie sind, und dass du ihm diese Information vorenthältst, wird er dann nicht wütend?« Die Unlogik ihrer Worte entging ihnen beiden.
    Daniel zuckte mit den Schultern. »Mit ein bisschen Gewalt kriegen wir das locker aus dir heraus.«
    Sie schauderte. »Da ist nichts aus mir rauszukriegen. Ich kann dir nicht beschreiben, wo sie sind. Ich müsste einfach dem Weg folgen, den sie genommen haben.«
    »Und dafür müsste ich dir erlauben, das Zimmer zu verlassen.« Daniel grinste freundlich. »So dumm bin ich auch
wieder nicht, Schätzchen. Ich sehe doch, worauf du abzielst.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Du bist wirklich sehr schlau. Also gut. Und was machen wir jetzt?« Bevor er etwas sagen konnte, griff sie nach ihren Einkaufstüten. »Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich habe wahnsinnigen Hunger. Ich habe ein bisschen Gebäck und Obst gekauft. Möchtest du auch etwas?«
    Er machte eine abwehrende Geste. »Aber iss nur. Ich schau dir zu.«
    Es war ihr unmöglich, etwas zu essen. Beim Kauen wurde das Gebäckstück zu Beton. Nachdem sie sich gezwungen hatte, zwei Bissen hinunterzuschlucken, legte sie es beiseite. Sie spürte, wie er sie beobachtete, und konnte sich seine belustigte Miene vorstellen, aber sie weigerte sich aufzuschauen. Mit dem Daumennagel öffnete sie eine Feige und saugte das süße, saftige Fruchtfleisch heraus.
    »Gut?« Sein spöttischer Ton brachte sie dazu, aufzuschauen. Sie wusste, dass ihr Saft von der Feige übers Kinn lief. Neben ihm stand eine Gestalt. Schattenhaft, groß. Die beobachtete sie ebenso amüsiert wie Daniel. Vor Schreck schrie Jess auf und ließ die Feige auf den Tisch fallen.
    »Was? Was ist denn?« Angespannt sah Daniel sich mit aufgerissenen Augen um.
    »Kannst du ihn nicht sehen?«, stammelte sie und zeigte dorthin, wo sie die Gestalt sah.
    »Wen?«
    »Titus!« Es war ein tonloses Flüstern.
    »Wo?« Daniel war kreidebleich geworden. »Wo? Ich kann ihn nicht sehen. Du lügst.«
    »Ich lüge nicht!« Sie stand auf und trat ein paar Schritte zurück, damit der Tisch zwischen ihr und Daniel stand. Die
Erscheinung stand direkt neben ihm, berührte ihn beinahe. Und

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