Die Tochter des Königs
kann nichts sehen. Sind sie es?« »Wir bewegen uns erst, wenn wir uns absolut sicher sind.« Er lächelte aufmunternd. »Stephanus geht voran. Er hat Julius und seinen Großvater ein paarmal gesehen und kennt sie gut genug, um zu wissen, ob sie es wirklich sind.« Über die Schulter warf er einen Blick zu Stephanus, der grinsend den Daumen hob. »Soll ich jetzt losgehen?«
»Lass sie noch ein paar Schritte näher kommen. Sie haben bei weitem nicht die Hälfte des Wegs zurückgelegt.« Marcellus spürte, wie sich sein Körper anspannte. Er sah sich in der Dunkelheit um. Der Plan war ihm so simpel erschienen, so absolut sicher, aber jetzt, in der Dunkelheit, beschlichen ihn wieder Zweifel. Er und Eigon wollten die
anderen überlisten, aber das konnte Titus Marcus Olivinus ebenfalls im Sinn haben.
»Worauf warten wir noch?« Eigon war zu ihm getreten, er spürte, dass ihre Nerven bis zum Zerreißen gespannt waren.
»Wir wissen noch nicht hundertprozentig, ob sie es sind. Es ist zu dunkel«, flüsterte Marcellus.
»Ruf ihnen zu.«
Marcellus warf einen Blick zu Stephanus. »Soll ich?«
Stephanus nickte. »Wir wollen uns ihnen ja nicht heimlich nähern. Sie wissen doch, dass wir kommen.«
Marcellus trat ein paar Schritte vor. »Titus Marcus Olivinus? Seid Ihr da? Zeigt uns unsere beiden Männer.«
Sie bekamen keine Antwort, aber die Gruppe schritt unentwegt auf sie zu.
»Julius?«, rief Stephanus. »Bist du da?«
Wieder bekamen sie keine Antwort, wieder näherte sich die Gruppe lautlos.
Eigon biss sich auf die Unterlippe, ihre Hände waren schweißnass. Und plötzlich wusste sie es. »Sie sind nicht da. Sie haben uns getäuscht!«
Fluchend packte Marcellus sie am Arm, machte kehrt und lief los. Plötzlich waren überall Männer. Fackeln loderten auf und erhellten die Nacht. Sie waren umzingelt. Geblendet von den tanzenden Flammen, blieb Eigon stehen. Sie konnte nichts sehen. Ihr Arm wurde aus Marcellus’ Griff gerissen, sie spürte, wie sie von ihm fortgeschleppt wurde. Mit einem Schrei der Wut bohrte sie ihre Finger in die Augen dessen, der sie gepackt hatte. Sie hörte lautes Fluchen. Der Griff um ihren Arm löste sich ein wenig, sie konnte sich losreißen, drehte sich um und lief blindlings durch das Gewühl, wusste nicht, wohin sie sich wenden sollte. Irgendwo wieherte ein Pferd. Sie hörte das Donnern
und Scharren von Hufen auf der gepflasterten Straße. Dann hatte jemand anderes sie gepackt. »Hier entlang! Schnell!« Sie erkannte Stephanus’ Stimme. »Hierher!«
»Julius?«, rief sie. »Wo ist Julius?«
»Er ist nicht hier. Er ist nie hier gewesen.« Einer Gruppe von Männern ausweichend, zog Stephanus sie durch ein Tor und in die Dunkelheit eines Weinbergs. »Hier weiter. Die anderen kommen allein klar. Die haben nicht damit gerechnet, dass wir genauso zusätzliche Leute mitgebracht haben.« Stephanus und Eigon liefen durch die Weinstöcke, vage konnten sie den Mond ausmachen. Dann bogen sie scharf nach rechts in ein Gebüsch. In der Ferne zog sich die Silhouette eines Aquädukts durch die Landschaft, die Mondschatten seiner Bögen fielen auf die Ebene. Auf diese Schatten steuerte Stephanus zu. Sie fanden eine Lücke in der Mauer des Weinbergs und liefen hindurch. Jetzt waren sie in einer Gegend mit vielen Gärten, hier und dort standen Obstgärten und kleine Bauernhäuser. Stephanus blieb stehen und sah sich um. »Ich kann niemanden hören. Du?« Sein Atem ging keuchend.
Eigon war zu erschöpft, um zu sprechen. Sie schüttelte den Kopf, schluckte heftig und presste die Hand in die Leiste, vom schnellen Laufen hatte sie Seitenstechen bekommen. »Und was ist mit Marcellus?«
»Er kann sich um sich selbst kümmern, aber wir müssen uns in Sicherheit bringen. Du bist es, hinter der sie her sind, vergiss das nicht.« Er sagte ihr nicht, dass Marcellus einen der jungen Männer aus ihrer Gruppe dazu überredet hatte, einen Rock und einen Umhang zu tragen für den Fall, dass ihr Plan fehlschlug. Mittlerweile würde er seine Verkleidung abgestreift haben, aber einige lebensrettende Momente sollte er die Häscher getäuscht haben, die mit etwas Glück ihm gefolgt waren. Lauschend hielt Stephanus die
Luft an. Nichts. Eine leichte Brise wisperte in den Blättern der Ölbäume, die in der Nähe in einem Hain standen.
»Und was machen wir jetzt?« Eigons früherer Mut hatte sie völlig verlassen, sie merkte, wie zittrig sie klang. »Wo ist Julius?«
»Ich bezweifle, dass sie ihn überhaupt mitgebracht
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