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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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langen Weg ohne ihre Tasse Tee zurückgehen müssen! Sie atmete tief durch und reckte herausfordernd das Kinn vor. Sie würde es ihm nicht leicht machen.
    »Es war nett von Ihnen, herzukommen, aber es wäre wirklich nicht nötig gewesen. Ich hätte Sie nicht in Ihrer Privatsphäre stören dürfen.« Sie trat in den Flur zurück und schloss die Tür langsam vor seiner Nase. Dann presste sie ein Ohr ans Holz und lauschte. Es war nichts zu hören. Mehrere Sekunden blieb er wie angewurzelt stehen, dann machte er kehrt und ging zu seinem Wagen. Kurz darauf war er zum Tor hinausgefahren und den Feldweg hinab verschwunden.
    »O mein Gott, das hätte ich nicht tun sollen!« Sie biss sich auf die Unterlippe, musste aber trotzdem laut kichern. »Arrogantes Ekel! Für wen hält er sich denn? Wie können so nette Leute wie die Prices einen derart grauenhaften Sohn haben!«
     
    Sie beschloss, sich mit ihren Skizzenbüchern und Farben und der Staffelei im Esszimmer einzurichten, dessen viele Nordfenster den Blick über das Tal hinweg auf die Berge in der Ferne freigaben. Der Raum lag auf der anderen Hausseite, gegenüber dem Hof und Stephs Atelier - und keine zehn Pferde würden sie dazu bringen, sich dort mit ihren Malsachen niederzulassen. Als sie schließlich zu malen begann, ging die Sonne im Dunst einer lilaroten, von Gold geränderten Wolke unter. In ihrer Handtasche läutete ihr Handy. Mit dem Pinsel in der Hand holte sie es heraus und
schaute auf die Nummer. William. Sie drückte den Anruf weg. Dann stellte sie fest, dass vier weitere eingegangene Anrufe gemeldet wurden. Alle von William. Missmutig steckte sie das Handy wieder in ihre Tasche und ging zum Fenster.
    Eine ganze Weile sah sie zu, wie die Schatten, die über das Tal fielen, immer länger wurden und die Senken und Schluchten mit samtiger Dunkelheit füllten. Als sie sich schließlich umdrehte, stellte sie ein wenig erschrocken fest, dass es im Zimmer dunkel geworden war; viel zu dunkel, um noch zu malen. Nachdenklich ging sie in die Küche und schaltete überall das Licht an. Jetzt lag auch der Hof in Dunkelheit, ebenso wie die dahinter ansteigenden Wälder. Aber an die Wälder wollte sie jetzt nicht denken, da fiel ihr nur wieder ihr Albtraum ein. Und das wollte sie nun ganz bestimmt nicht. Sie würde eine Suppe aufsetzen. Kochen machte ihr Spaß, und dabei konnte sie Musik hören. Sie hatte auf der Kommode neben Stephs Hi-Fi-Anlage ein paar CDs gesehen. Sie grinste liebevoll. Hi-Fi-Anlage war etwas übertrieben für diesen alten CD-Spieler mit den antiquierten Lautsprechern, die über und über mit Mehl, Ton und anderen unidentifizierbaren Substanzen verschmiert waren.
    Jess blätterte kurz die CDs durch, und der Mund blieb ihr offen stehen. Auf den beiden obersten prangte ein Bild von Rhodri Price. Sie stand da, die CDs in der Hand, und musterte das attraktive, arrogante Gesicht, die wilde Mähne, die dramatische Körperhaltung. Auf einem Bild trug er einen Frack, auf dem anderen war er in Hemdsärmeln. Das erste war eindeutig in einem Konzertsaal entstanden, das zweite, weniger förmliche irgendwo auf einem Berg. »O mein Gott! Der Opernsänger.« Sie biss sich auf die Unterlippe. Natürlich hatte sie von ihm gehört - wer hatte das nicht? Peinlich berührt schloss sie die Augen. Sie konnte sich nicht damit
herausreden, dass sie diese Art Musik nicht mochte. Opern sagten ihr zwar tatsächlich eher weniger zu, aber sie liebte Orchestermusik und Instrumente wie die Harfe, und dieser Mann sang verschiedenste Musikrichtungen. Er gab Liederabende. Er sang bei Fußballspielen, er war oft im Fernsehen zu Gast. Er war ein echter Star!
    Sie lächelte amüsiert in sich hinein und legte die CD in den Spieler. Rhodri Prices Stimme füllte den Raum, ein wildes, wunderschönes walisisches Volkslied, das von den perlenden Kadenzen einer Harfe begleitet wurde. Atemberaubend. Jess hörte eine ganze Weile nur zu, ehe sie schließlich zu kochen begann. In den Kartons, die sie mitgebracht hatte, fand sie ein paar Zwiebeln und Kartoffeln, die sie würfelte und in die schwere gusseiserne Pfanne warf. Nebenbei hörte sie der Musik zu. Als sich seine Stimme über das Brutzeln des Öls emporschwang, stand sie wieder nur da, das Messer in einer Hand, eine Zwiebel in der anderen, und lauschte einem Lied nach dem anderen. Einige waren traurig, andere überschäumend, manche sehnsüchtig, aber alle waren lyrisch. Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. Beim Zwiebelschneiden

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