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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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musste sie immer weinen.
    Als sie viel später am Fenster ihres Schlafzimmers stand, sah sie den Mond aus dem Wald aufsteigen. Es war ein wunderschöner Anblick, noch ein Bild, das sie gern malen würde. Sie runzelte die Stirn. Dort auf dem Weg stand doch jemand, reglos im silbernen Mondlicht. War es das Kind? Aber nein, das Kind gehörte zu ihrem Traum. Mit angehaltenem Atem schob sie das Fenster auf und lehnte sich hinaus. Die Person regte sich nicht. Es war ein Mädchen, das konnte Jess jetzt eindeutig erkennen. Ein Mädchen, das mit dem Rücken zum Haus stand und zu den Bäumen schaute. Dieses Mal hatte es dunkles Haar, nicht blondes. Eigon. Jess holte tief Luft. Das Mondlicht warf lange, silbern geränderte
Schatten auf den Weg, doch die Person hatte keinen Schatten. Ein Wolkenband jagte das Tal herauf, im nächsten Moment würde es den Mond verbergen. Noch ehe es passierte, wusste Jess, dass das Mädchen nicht mehr da sein würde, wenn der Mond wieder erschien.
     
    Kaum hatte Jess den Kopf aufs Kissen gelegt, träumte sie wieder. Es war, als würde Eigon auf sie warten, diese kleine, einsame Gestalt mit dem im Mondlicht rabenschwarzen Haar, dessen lange Strähnen deutlich erkennbar wurden, als die Sonne über die Steinmauern des alten Viehstalls stieg, wo sie halb nackt zwischen den Brennnesseln lag.
     
    Als Eigon aufwachte, war der Himmel blau, die Vögel sangen, und sie blickte in die Augen eines weiteren Römers.
    Nur einer der Männer hatte das Mädchen vergewaltigt, die anderen hatten ihre Lust an den Frauen gestillt. Als sie kurz vor Morgengrauen wegritten, waren sowohl Eigon als auch ihre Mutter nicht bei Bewusstsein, Alys und Blodeyn waren tot. Von Togo und Gwladys war nichts zu sehen.
    »Was ist hier vorgefallen?« Der Römer saß von seinem Pferd ab und bückte sich, um die Frauen zu untersuchen. Eigon sah ihn den Kopf schütteln, als sein Blick Alys streifte. Ihr war mit einem grausamen Schnitt der Kopf fast vollständig vom Rumpf getrennt worden. Kurz schaute er auf den nackten, verdrehten Körper der toten Blodeyn, dann legte er eine Hand sanft auf Cerys’ Stirn. Sie stöhnte. Er warf einen Blick über die Schulter zu seinen Männern. »Ich glaube, wir haben die Familie, nach der wir suchen. Diese Frau ist keine Bäuerin. Schaut euch die Hände an. Sie ist entweder Caratacus’ Gemahlin, oder sie gehört zu seiner Familie.« Er verwendete den römischen Namen von Eigons Vater. Er nahm Cerys’ Hand und schaute prüfend auf ihre
Nägel. Einen Moment öffneten sich ihre Augen halb, dann schloss sie sie wieder. Er sah die Kratzer, die entstanden waren, als die Männer ihr die Armreifen abgerissen hatten. Auch ihre Kette war fort, und am Hals hatte sie verräterische blaue Flecke. Diese Frau hatte Schmuck getragen, die Überreste ihres Gewands waren aus feinstem, wunderschön besticktem Leinen. Der Römer wandte sich Eigon zu. Langsam wanderte sein Blick über den nackten, weißen Leib des Kindes, er sah das Blut, die blauen Flecke, die obszön gespreizten Beine, und seine Lippen wurden dünn. »Deckt sie zu«, befahl er barsch. »Und sucht nach den anderen Kindern. Meines Wissens waren es drei. Begrabt die beiden Toten ehrenvoll, und dann bringt die beiden anderen ins Lager. Aber vorsichtig!« Das letzte Wort brüllte er. Der stellvertretende Kommandeur nickte ernst und saß schließlich auch von seinem Pferd ab.
    »Und sucht nach denen, die diesen Frevel begangen haben«, fuhr der Offizier mit gefährlich leiser Stimme fort. »Wer immer es war, sie werden es mit dem Leben bezahlen.«
    Als Eigon das nächste Mal aufwachte, lag sie in einem Zelt auf einem niedrigen Bett, und ihre Mutter wusch sie mit einem Schwamm und warmem Wasser. Hinter ihr brannte eine Lampe, die Schatten rundum auf die Wände warf. Und sie roch den Duft von Lavendel.
    »Mama?« Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    »Pssst, mein Herz. Alles wird gut.« Cerys gelang ein erschöpftes Lächeln. Man hatte ihr heißes Wasser und Kleider gebracht und ihr zu essen gegeben, aber sie hatte wenig zu sich genommen, weil sie über ihre Tochter gewacht hatte, die leichenblass im Bett lag und manchmal stöhnte, wenn der Nebel der Träume sich lichtete und sie langsam wieder zu Bewusstsein kam.

    Eine Gestalt erschien in der Tür. Es war der Offizier, der sie hergebracht hatte. Mittlerweile wusste Cerys, dass er Justinus hieß. »Königin Cerys?«
    Es wäre unsinnig gewesen zu leugnen, wer sie war. Dutzende von Männern und Frauen aus der

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