Die Tochter des Königs
und dann ist er hier aufgetaucht. Überhaupt nichts Übernatürliches. Ganz einfach. Sogar diese Pension war letztlich nicht sicher.«
Carmella schüttelte den Kopf. »Ach, Jess, das tut mir wirklich sehr leid. Der Mann ist des Teufels. Aber dir fehlt nichts? Was hat er gemacht?«
Jess lächelte spöttisch. »Man könnte sagen, dass er verjagt wurde.«
Carmella seufzte. »Du brauchst einen Drink. Warte.«
Jess schloss die Augen, während Carmella den Raum verließ. Als sie sie wieder öffnete, hielt Carmella ihr ein kleines
Glas vor die Nase. »Geeister Limoncello. Trink das, dann geht’s dir besser. Ich rufe jetzt mal von der Küche aus William an, okay?«
Erschöpft schloss Jess die Augen wieder und lehnte sich im Stuhl zurück. Es war so viel passiert, in den letzten Nächten hatte sie so wenig geschlafen, dass sie sich fragte, ob sie überhaupt die Kraft haben würde, wieder aufzustehen.
War es richtig, mit William nach England zurückzufahren? Reiste denn Eigon jetzt dorthin? Vor Schreck riss sie die Augen auf. Sie wusste nicht, ob Eigon wirklich entkommen war. Titus wusste, wo sie Unterschlupf gefunden hatte. Petrus traf zwar alle Vorbereitungen für ihre Abreise, aber noch war sie nicht fort. Wie lange dauerte es, eine solche Reise zu organisieren? Und was, wenn Titus sie noch vor ihrer Abfahrt erwischte? Jess spürte, wie ihr das Adrenalin durch die Adern schoss.
»Okay, ich habe ihn erreicht.« Carmella kam zu Jess zurück. »Er ist unterwegs.«
»Wie lange braucht er noch?« Panisch starrte Jess sie an.
»Nicht lange.« Carmella setzte sich neben sie. »Mach dir keine Sorgen, Jess. Du stehst das alles durch. Jetzt kann Daniel dich nicht mehr kriegen. Jetzt sind wir alle hier.«
»Nein! Das verstehst du nicht. Es geht nicht um Daniel. Es ist …« Sie fasste Carmella am Arm. »Bitte, du musst mir einen Gefallen tun. Jetzt, bevor er kommt. Was ist passiert? Was ist mit Eigon passiert? Ist sie ihm entkommen? Wo sind deine Karten? Hast du sie dabei?«
Carmella schüttelte den Kopf. »Nein, Jess, die habe ich nicht dabei.« Besorgt schaute sie in Jess’ blasses Gesicht. »Jetzt lass es gut sein, ja? Du hast alles in deiner Macht Stehende getan. Du weißt genug. Schütz dich, Jess. Überlass Eigon der Vergangenheit.«
»Das kann ich aber nicht! Verstehst du das denn nicht? Ich muss es wissen. Es kostet dich nur fünf Minuten. Bitte.« Plötzlich schnippte Jess mit den Fingern. »Ach, ich weiß!« Bevor Carmella etwas sagen konnte, lief sie an ihr vorbei in die Küche. Margaretta stand gerade am Tisch und schnitt Zucchini. Erstaunt sah sie auf, als Jess zur Tür hereinstürzte.
»Bitte, es tut mir leid. Kann ich eine Schüssel Wasser haben? Hier, die ist gut.« Sie griff nach der leeren Salatschüssel, die auf dem Tisch stand, lief damit zum Waschbecken, füllte sie halb mit Wasser und trug sie nach nebenan. Ihre Wirtin starrte ihr mit offenem Mund nach. »Hier, schau hier rein. Du hast gesagt, Wasser funktioniert genau so gut wie deine Kristallkugel.« Sie stellte die Schüssel so heftig auf den Tisch, dass Wasser auf das polierte Walnussholz schwappte.
»Jess …!«
»Jetzt mach schon, schnell, bevor William kommt. Schau einfach rein. Bitte.« Margaretta erschien in der Tür, sie wirkte etwas empört, dass ihr die Schüssel vor der Nase weggeschnappt worden war.
»Carmella?«
Carmella schaute auf. Sie sagte schnell etwas auf Italienisch, aber Jess achtete sowieso nicht darauf. »Jetzt mach schon, schau. Bitte.« Sie blickte auf. Ein Taxi war vor die Pension vorgefahren. »Zwei Minuten. Bevor er reinkommt. Bitte, Carmella!«
Seufzend beugte Carmella sich über die Schüssel, strich sich das Haar aus dem Gesicht und schaute tief ins Wasser. Sie war da. Das rätselhafte Gesicht aus der Vergangenheit, das ihren Blick erwiderte. Sie konnte die Züge der Frau sehen, den Schleier auf ihrem Haar, die intelligenten Augen, die Carmella ebenso beobachteten, wie Carmella sie beobachtete.
Jess war aufgesprungen und fing William an der Tür ab. »Warte. Eine Sekunde noch.« Sie legte einen Finger auf die Lippen. »Nur eine Sekunde.«
William starrte über ihre Schulter zu Carmella. »Was ist denn los?«
»Sie schaut nur etwas für mich nach.«
Abrupt setzte Carmella sich auf. Wer immer es war, es war nicht Eigon. Sie schüttelte den Kopf. »Es geht nicht, Jess. Es tut mir leid. So kann ich das nicht. Ich kann mich nicht konzentrieren. Da kommt nichts.«
»Aber ich muss es wissen.« Jess hörte
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