Die Tochter des Königs
Fahrwerk wurde ausgefahren. »Ich möchte, dass du zu deinen Eltern fährst. Mach dir einen schönen Sommer, oder was vom Sommer noch bleibt. Ich fahre wieder zu Steph.«
Er verzog das Gesicht. »Du schickst mich also weg?«
Sie grinste. »Das klingt ein bisschen harsch. So meine ich das nicht. Ich will einfach nicht, dass du dich für mich verantwortlich fühlst.«
Er war ein wenig rot geworden, aber sie wusste nicht, ob er verletzt oder nur wütend war. »Fährst du wieder nach Wales, um ihn zu sehen?«, platzte es dann aus ihm heraus.
»Wen?« Einen Moment war sie aufrichtig verwundert.
»Rhodri.« Er presste die Lippen aufeinander.
»Aber wirklich nicht! Ich bezweifle, ob er mich je wiedersehen will.« Sie lachte laut auf. Sie warf ihm einen Seitenblick zu und wandte sich dann ab, um zum Fenster hinauszuschauen. Das Flugzeug war jetzt gerade gut hundert Meter über dem Boden. Jess sah das Gewirr der Straßen unter sich, die Scheinwerfer der Autos. Rhodri. Einen Moment sah sie ihn vor sich, seine breiten Schultern, sein gebräuntes Gesicht, seinen sauber gestutzten, aber dennoch verwegenen Dreitagebart, seine lachenden Augen und seinen beschützenden Zorn. Er war ein attraktiver Mann, keine Frage. Aber das gehörte zu seinem Beruf. Sie hatte sich von
seinem Charisma verführen lassen. Mehr nicht. »Du bist doch nicht eifersüchtig, William, oder?«
»Wohl kaum. Erst vor kurzem hast du mich wieder daran erinnert, dass wir getrennt sind.«
»Und das war deine Entscheidung«, sagte sie leise. »Du hast mich verlassen, weißt du noch? Nach unserer Trennung war ich am Boden zerstört, aber du hast einfach sehr viel früher als ich gespürt, dass zwischen uns nicht alles zum Besten stand. Und jetzt ist mir klar, dass du Recht hattest.«
»Ich war dumm.« Er starrte vor sich hin. »Muss es denn für immer sein? Darf ich nicht meine Meinung ändern?«
»Niemand weiß, was für immer ist, William. Aber momentan ist es so.« Traurig schaute sie zu ihm. William hatte so viel für sie getan. Er hatte sein Leben für sie riskiert, das stimmte, und sie mochte ihn immer noch sehr gern. Die Wut und der Schmerz waren verschwunden. Aber Dankbarkeit und Zuneigung genügten nicht als Grundlage einer Beziehung.
Er wich ihrem Blick aus. »Also fährst du gleich nach Wales?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Zuerst muss ich nach Heathrow. Da steht mein Auto.«
William schaute zu ihr. »Mist! Entschuldige. Auf die Idee bin ich gar nicht gekommen.«
»Schon in Ordnung. Es gibt bestimmt einen Bus oder Zug, der dorthin fährt. Und von dort fahre ich dann nach Wales.«
»Und ich vermute mal, wo immer Eigon hingeht, gehst du auch hin.« Er klang bitter. »Rufst du mich an, wenn du Hilfe brauchst? Du weißt, ich komme sofort.« Er und Rhodri hatten einen Pakt geschlossen, dass sie sich Daniel vorknöpfen würden. Konnte er mit Rhodri gemeinsam etwas
unternehmen? Er seufzte. Vermutlich schon, wenn sie damit Jess von dieser Qual erlösten.
»Ich ruf dich an, William.« Jetzt lächelte sie ihn an. »Aber du fährst doch trotzdem nach Cornwall, oder?«
»Vielleicht später. Jetzt fahre ich erst mal nach Hause. Vergiss nicht, du kannst jederzeit kommen. Ohne jede Verpflichtung.«
Sie grinste. »Noch müssen wir uns ja nicht verabschieden. Wir fahren doch zusammen nach London hinein.«
Sie verabschiedeten sich bei der U-Bahn-Station Liverpool Street Station. Dort stieg Jess in einen Verbindungszug zur Piccadilly Line, die sie nach Heathrow bringen würde, William fuhr weiter nach Südlondon. Sie stellte sich auf Zehenspitzen und gab ihm einen leichten Kuss auf die Lippen. »Pass auf dich auf, William.«
»Und du auf dich.« Kurz umarmte er sie. »Lass dich nicht von Titus erwischen.« Einen Augenblick dachte sie, er wollte noch mehr sagen, aber dann hatte er sich bereits umgedreht.
Bedächtig trank Daniel seinen Cappuccino und beobachtete die gegenüberliegende Straßenseite. Die Sonne war grell, die Hitze reflektierte von den Pflastersteinen, die Luft roch nach Abgasen und heißem Stein. Er war müde, deprimiert und so wütend, dass ihn die Wogen des Zorns, die sich seiner mit erschreckender Regelmäßigkeit bemächtigten, völlig überforderten. Er hatte mehrere SMS von Nat bekommen. Jede klang besorgter, ärgerlicher, ungeduldiger. Sie wollte wissen, wo er war. Er habe versprochen, mittlerweile zu Hause zu sein. Die Polizei, simste sie, habe sie inzwischen dreimal angerufen, ebenso wie der Rektor. Was in Teufels Namen gehe
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