Die Tochter des Königs
späten Abend hatten sie die Höhle, in der sie gerastet hatten, viele Meilen hinter sich gelassen. Sie wichen mehreren Dörfern aus, überquerten ein Dutzend Bäche und Flüsse und hielten sich unentwegt nach Westen, bis sie schließlich auf einer Bergkuppe eine verlassene Schäferhütte entdeckten. Dort konnten sie die Nacht in relativer Wärme und Sicherheit verbringen. Commios, der mittlerweile so wild aussah, dass niemand ihn mehr für einen Römer halten würde, ging ins nächste Dorf. Da er die Sprache der Region beherrschte, erregte er so gut wie kein Aufsehen und konnte etwas zu essen und Bier und zwei derbe, im hiesigen Muster gewebte Umhänge besorgen.
In der Nacht schliefen sie gut, und am nächsten Morgen brachen sie in hellem Sonnenschein auf. Ihre gute Laune machte sie sorglos. Selbst Commios hatte die Gruppe Männer, die sich in den Bäumen versteckt hielten, nicht bemerkt. Gerade noch waren sie hintereinander dem sonnenbeschienenen Pfad durch das Tal gefolgt, dann waren sie plötzlich von Stammesleuten umringt, von denen einer Commios ein Messer an die Kehle hielt.
Drusilla schrie. Jemand schlug ihr auf den Mund, und die drei wurden ins Gebüsch gezerrt. Eine barsche Stimme sprach Commios ins Ohr. »Wer seid ihr? Wohin geht ihr?«
Die Männer gehörten eindeutig zu seinem eigenen Stamm, wie er an ihrer Sprache erkannte, und er fluchte so lautstark
und umgangssprachlich korrekt, dass die Häscher erstaunt von ihnen abließen. Eigon sah sich um. Es waren rund ein Dutzend Männer, die im Halbkreis um sie herumstanden, das Schwert gezückt, die Kleidung einfach, das Haar wild, die Augen zornig. Sie warf einen kurzen Blick zu Commios, der mittlerweile die Männer anherrschte, wen sie denn vor sich zu haben glaubten und ob sie sie vielleicht auch noch auszurauben gedachten? Die zwei jungen Männer, die bereits die Bündel der Frauen an sich genommen hatten, ließen sie beschämt zu Boden fallen. Ein Mann trat vor, offenbar war er der Anführer. Er und Commios unterhielten sich angeregt, wobei der Stammesmann im Lauf des Gesprächs zunehmend verlegen dreinsah. Schließlich starrten alle ehrfürchtig zu Eigon.
»Was hast du gesagt, Commios?«, fragte sie misstrauisch. Sie sprach Lateinisch.
Er grinste. »Ich habe ihm gesagt, dass du die Königin der Silurer bist, die Tochter des großen Caradoc, und dass du ihren Kopf fordern wirst für die Beleidigung, die sie dir zugefügt haben.«
Sie hob die Augenbrauen. »Gute christliche Gefühle, Commios.«
Er schnaubte. »Das sind keine Christen. Und diesen Wunsch, bereitwillig als Märtyrer zu sterben, habe ich nie verstanden.«
»Und Lügen. Ich bin keine Königin.«
»Das weißt du nicht so genau. Bist du die Tochter Caradocs oder nicht?«
Sie nickte.
»Dann benimm dich als solche. Sei königlich!«
Nervös betrachtete sie ihre Häscher. Alle Augen waren auf sie gerichtet. Sie straffte die Schultern, setzte eine so hochmütige Miene auf, wie ihr nur möglich war, und freute
sich zu sehen, dass der eine oder andere der Männer vor Angst förmlich zu zittern begann. »Wer ist euer Anführer?« Ihr Keltisch war zwar etwas eingerostet, aber noch gut genug, um sich verständlich zu machen; schließlich kam sie von einem entfernt verwandten Stamm jenseits des Meeres. Nach den ersten heiseren Worten war ihre Stimme stark und überzeugend. »Habt ihr uns auf seinen Befehl hin überfallen?«
Ihr fiel auf, dass Commios bei ihren Worten respektvoll ein paar Schritte zurücktrat und dann leise und unauffällig auf Drusilla einredete. »Selbst wenn du ihr nachher in die Suppe spuckst, bitte benimm dich ehrerbietig. Im Moment bist du ihre Dienerin.«
Empört wollte Drusilla das Gesicht verziehen, aber dann wurde ihr klar, dass in diesem Moment ihrer aller Leben von Eigons Fähigkeit abhing, als Königin anerkannt zu werden.
Das fiel ihr nicht schwer. Eigon brauchte nur an das Auftreten ihres Vaters vor seiner Erkrankung zu denken, an diese Mischung aus Sanftheit, natürlicher Autorität und Macht. Das ergänzte sie durch einen Anflug der Arroganz ihrer Mutter, drückte den Rücken noch weiter durch und trat in den Kreis der Männer vor. »Bringt uns in euer Dorf. Ich spreche selbst mit eurem Anführer.« Sie wandte sich an die zwei jungen Männer, die ihre Beutel hatten nehmen wollen. »Ihr zwei, ihr tragt unser Gepäck. Ihr werdet ihm sagen, dass ihr versucht habt, die Königin der Silurer zu berauben. Du«, sie betrachtete den Anführer mit einem Blick, der ihm
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