Die Tochter des Königs
ich störe. Seit meine Mutter weiß, dass Sie ganz allein hier sind, lässt sie mir keine Ruhe. Jetzt hat sie mir aufgetragen, Ihnen aus der Tiefkühltruhe ein paar Vorräte zu bringen.« Er hielt einen Korb in der Hand. »Hätte ich gewusst, dass Sie Besuch haben, hätte ich Sie nicht gestört.« Er klang leicht verärgert.
Widerwillig machte Jess die beiden Männer miteinander bekannt. Rhodris Erscheinen hatte die Stimmung des Abends verdorben. »Das ist sehr nett von Ihrer Mutter, Rhodri. Richten Sie ihr doch bitte meinen Dank aus.« Entschlossen nahm sie ihm den Korb ab. »Möchten Sie ein Glas Wein?«
Zu ihrer Überraschung nickte er. Während Daniel ein Glas holen ging, lächelte sie ihn kühl an. »Hat Megan das alles selbst gekocht?«, fragte sie höflichkeitshalber. »Es ist wirklich sehr nett von ihr, an …« Ein Scheppern aus der Küche unterbrach sie.
Dann trat Daniel in die Tür, eine Hand in ein Geschirrtuch gewickelt. »Tut mir leid, Leute, das Glas ist mir ausgerutscht. Hier geht momentan offenbar alles daneben!« Er reichte Rhodri das Glas und ging langsam zur Hecke. Die beiden anderen folgten ihm. »Seht euch nur die Aussicht an«, sagte er nach einer Weile. »Famos, oder?« Jenseits der Hecke fiel der Berghang ins Tal ab. Die Sonne ging langsam in einem perlweißen Dunst unter, der die Gipfel golden erglühen ließ.
»Morgen regnet es.« Rhodri schaute immer noch über die Hecke hinweg. »Mum sagt, dass Sie malen.« Jetzt warf er einen Blick zu Jess.
»Nur als Amateurin.« Ihr Ton war immer noch unterkühlt. Er klang herablassend und desinteressiert, und allein schon die Tatsache, dass er einen Kopf größer war als sie und somit auf sie herabschaute, missfiel ihr sehr.
»Aber eine verdammt gute Amateurin«, widersprach Daniel freundlich. »Dieses Haus ist die reinste Inspiration. Ich glaube, wenn ich hier lebte, würde ich schließlich und endlich auch meinen Roman schreiben.«
»Welchen Roman denn?«, fragte Jess belustigt. »Und bevor du Rektor wirst, oder erst danach?«
Er grinste. »Vermutlich erst danach. Aber bevor ich Bildungsminister werde!«
Rhodri lachte leicht abschätzig. »Tja, mein Freund, auch wenn Sie Ihre Zukunft planen, ich muss mich leider verabschieden. Vielen Dank für das Glas Wein, Jess.«
Er ging zum Haus und wollte es gerade betreten, als er stehen blieb. »Sind Sie sicher, dass nur ein Weinglas kaputt gegangen ist?«, rief er über die Schulter.
Der Boden des Esszimmers war mit Glassplittern übersät. Erschüttert starrten die drei den Scherbenhaufen an. Daniel schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht. Ich habe alles aufgeräumt. Dabei habe ich mich ja geschnitten. Außerdem war das in der Küche. O mein Gott!« Er brach ab, als sein Blick auf den Tisch fiel. »Jess …«
Über ihr Skizzenbuch war rote Flüssigkeit verschüttet, die Seiten waren zerknittert, eine der Zeichnungen war überkritzelt. Jess schaltete das Licht an. »Wer würde denn so etwas tun?«, flüsterte sie. »Daniel …?«
»Nein! Ich war’s nicht, das schwöre ich! Wie kannst du mir so was überhaupt unterstellen?«
»Ist das Wein?« Rhodri fuhr mit der Fingerspitze über die aufgeschlagene Seite. »Es ist klebrig. O mein Gott, das ist Blut!« Entsetzt trat er ein paar Schritte zurück. »Das waren Sie!«, sagte er zu Daniel. »Sie bluten hier doch alles voll!«
»Ich war’s nicht, das habe ich doch schon gesagt!«, verteidigte Daniel sich wütend. »Warum sollte ich’s nicht zugeben, wenn ich’s tatsächlich gewesen wäre? Ich bin gar
nicht in die Nähe des Tischs gekommen.« Er ging zur Tür. »Das war jemand anderes. Die Haustür ist offen.«
»Das war ich«, sagte Rhodri. »Steph lässt sie immer offen. Es tut mir leid, ich habe mir nichts dabei gedacht.« Er trat in den Flur hinaus und sah sich um. »Aber wer würde so etwas tun?« Der Zorn in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Und warum?« Er marschierte in den Hof hinaus. »Hier draußen ist niemand!«
Betroffen schüttelte Jess den Kopf. »Na ja, so toll waren die Zeichnungen auch wieder nicht. Nichts, was ich nicht noch einmal machen könnte.«
»Darum geht’s doch gar nicht!«, sagte Daniel aufgebracht. »Sollen wir die Polizei holen?«
»Nein.« Jess schüttelte den Kopf. »Wer immer es war, sie sind schon längst über alle Berge. Es sei denn …« Sie brach ab und warf einen Blick zur Treppe.
»Ich gehe nachschauen.« Rhodri kam zum Fuß der Treppe, blieb mit die Hand auf dem Pfosten kurz stehen und
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