Die Tochter des Königs
Schluck Limoncello.
»Warum in aller Welt sollte jemand Jess umbringen wollen?« Kim fasste Steph an den Schultern. »Überleg doch mal! Was in Gottes Namen könnte Jess getan haben, dass jemand ihr etwas antun wollte?«
»William hat sie gesucht. Er hat angerufen …«
»Ach ja, und William will sie jetzt umbringen? Ich dachte, du hast gesagt, er würde sie immer noch vergöttern.«
Steph schüttelte den Kopf. »Ich bin wirklich albern, stimmt’s? Ich weiß. Entschuldige.«
»Endlich kommst du zur Vernunft! Und vergiss nicht, die Karten sagten auch was von Liebe. Also, jetzt schicke ich die anderen nach Hause. Geh ins Bett, Steph. Schlaf gut. Du wirst sehen, morgen früh wird sich alles finden. Das Telefon wird wieder funktionieren, und du wirst erfahren, dass bei Jess alles in bester Ordnung ist.«
Zum zweiten Mal an dem Tag hatte Jess das Haus abgeschlossen und sich ans Steuer gesetzt. Ihre größte Angst war, dass Daniel ihr auf dem schmalen Feldweg entgegenkommen würde. Sie drehte den Zündschlüssel. Der Motor sprang an. Mit einem kurzen Dankesgebet ließ sie die Kupplung kommen, doch als sie das Lenkrad drehte, um aus dem Hof zu fahren, hustete der Motor und erstarb. »Nein! Bitte, lieber Gott, nicht nochmal!« Mit zitternden Händen versuchte sie es ein zweites Mal.
Zehn Minuten später gab sie auf.
Nichts auf der Welt würde sie dazu bringen, Rhodri noch einmal anzurufen. Sie hatte auch ihren Stolz!
Ihr blieb nichts anderes übrig, als seinem Rat zu folgen, sich im Haus zu verbarrikadieren und den Morgen abzuwarten. Vielleicht hatte er ja Recht und Daniel würde wirklich nicht kommen.
Als Jess schließlich zu Bett ging, hatte sie die Türen abgeschlossen und obendrein verriegelt, die Fenster geschlossen und die Vorhänge zugezogen. Nachdem sie sich in die Kissen hatte sinken lassen, starrte sie zum Fenster, statt das Buch aufzuschlagen, das auf ihren Knien lag. Es gab nichts, wovor sie Angst zu haben brauchte. Was könnte Daniel denn schon tun, wenn er tatsächlich kommen sollte? Sie warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz vor Mitternacht. Vom Wald hörte sie die Rufe zweier Käuzchen, die leise Stimme des Weibchens, die um den Berg hallte, die schrillere Antwort des Männchens so laut, dass Jess beinahe glaubte, es säße unten im Hof. Schaudernd zog sie sich die Decke über die Ohren.
Publius Ostorius Scapula stand in seinem Zelt und schaute auf die Frau, die hereingeführt worden war. Sie hatte dunkle Haare, war schlank, sehr schön und blass, die dunklen Druckstellen auf ihrem Gesicht und am Hals waren nicht zu übersehen. Einer seiner Kundschafter hatte ihn über diese Frau ins Bild gesetzt: Sie war die älteste Tochter des letzten Königs der Silurer, des hiesigen aufsässigen Stamms im Süden dieser verfluchten Cambrischen Berge, und die zweite Gemahlin Caratacus’. Die erste war offenbar im Kindbett gestorben. Diese zweite hatte er ganz bewusst aus dem Stamm gewählt, von dessen Ländern aus er seinen Widerstand gegen Rom leiten wollte. Und sie hatte seine Erwartungen mehr als erfüllt, hatte ihm drei Kinder geschenkt, zwei Töchter und einen Sohn, und dazu ihre unerschütterliche Loyalität und Liebe. Das hatte er zumindest gehört. Diese
Keltenkönigin besaß große Würde und großen Mut, auch wenn sie seine Gefangene war.
»Herrin, ich habe Nachricht für Euch«, sagte er schließlich. »Euer Gemahl ist gefunden worden.« Er sah Hoffnung in ihren wunderschönen grauen Augen aufblitzen. »Er war schwer verwundet, ist aber offenbar auf dem Wege der Besserung.«
»Wo ist er?« Es war nicht mehr als ein Flüstern. Befangen sah sie ihn an, nahm allen Mut zusammen, um seinem Blick zu begegnen.
»Er ist nach Norden geflohen«, sagte er langsam. »Ins Land der Briganten. Dort hoffte er wohl, Zuflucht zu finden.« Seine Stimme verriet keinerlei Empfindung. »Er lieferte sich der Gnade Königin Cartimanduas aus, die offenbar seine Cousine ist.« Jetzt lächelte sie. Er ging zum mit Landkarten und Pergamentrollen übersäten Tisch und setzte sich, dann schaute er nachdenklich zu ihr hoch. »Ihr wisst vielleicht nicht, dass die Königin eine Vasallin Roms ist und eine Verbündete des Kaisers.«
Cerys wurde blass.
»Sie hat ihre Pflicht gegenüber Rom erfüllt und uns mitteilen lassen, dass Caratacus jetzt ihr Gefangener ist. Sobald er wieder reisefähig ist, wird er meinem Gewahrsam übergeben. Ich werde ihn nach Camulodunum bringen lassen und die Entscheidung des Kaisers über
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