Die Tochter des Königs
Die Karten lügen nie, aber die und die …« Ihre Hände strichen über sie, als würden sie die Karten wie Braille lesen. »Es ist sehr seltsam. Hier ist Liebe, neue Liebe. Eine starke Liebe, aber auch Gefahr. Und Angst. Und Bedrohungen.«
»O mein Gott«, flüsterte Steph fast tonlos. Sie und Kim tauschten einen Blick.
Kim räusperte sich. »Vielleicht war das keine so gute Idee«, sagte sie. »Trinken wir doch noch was und vergessen es.«
»Nein.« Carmella hob gebieterisch die Hand. » Aspetta! Es ist zu wichtig. Die Karten sagen mir etwas sehr Wichtiges über deine Schwester. Man muss sie warnen, dass sie in Gefahr ist.«
»O mein Gott«, wiederholte Steph und stand auf. Durch die Gäste ging ein betroffenes Raunen. Alle schauten zu ihr. Niemand bezweifelte, dass Carmella die Wahrheit sagte,
niemand schaute skeptisch oder zynisch oder tat ihre Worte spöttisch ab, wie es bei einer Dinnerparty in London passiert wäre. Hier hingen alle an ihren Lippen.
»Carmella, hör auf!«, sagte Kim. »Das reicht. Du machst ihr Angst!«
»Du willst es nicht wissen? Du willst ihr nicht helfen?«
»Doch, natürlich will ich es wissen.« Steph setzte sich wieder und fuhr sich durchs Haar. »Mach weiter.«
Carmellas Blick wanderte zu ihr und dann wieder zu den Karten. »Hier ist noch ein anderer Mann.« Ihr Finger lag auf dem König der Schwerter. Sie runzelte die Stirn. »Der Vater deiner Schwester? Er ist verwundet.«
»Unser Vater ist tot«, sagte Steph scharf.
Carmella schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht. Es ist eindeutig ein Vater. Vielleicht der des anderen Mädchens? Hast du eine Ahnung, wer sie sein könnte?« Sie schaute auf. »Und hier sind auch Soldaten.« Sie beugte sich dicht über die Karten. »Und hier sehe ich wieder Gefahr.« Ihre Stimme wurde härter. »Hier ist es klar. Hier sind zwei Leben, und das« - sie klopfte mit der Fingerspitze auf eine Karte -, »das ist deine Schwester. Jemand will sie töten!« Sie richtete sich auf und sah Steph aus aufgerissenen Augen an. » Dio mio, wir sollen nie einen Tod prophezeien. Nie! Das ist entsetzlich!«
»Und es ist Unsinn, Carmella!« Kim war aufgebracht. »Die Karten sollten Steph beruhigen und nicht alles noch schlimmer machen.« Sie erhob sich. »Es reicht! Jetzt trinken wir noch einen Limoncello, und dann gehen alle nach Hause.«
»Ich rufe bei der Polizei an.« Steph starrte immer noch auf die Karten.
»Mach dich nicht lächerlich! Du kannst die Polizei nicht wegen ein paar Tarotkarten anrufen.« Kim fegte die Karten
zu einem Haufen zusammen. »Schluss, aus, Ende. Ich packe sie weg.«
»Ich rufe bei den Prices an. Meg und Ken haben bestimmt nichts dagegen, kurz mal nach Ty Bran zu fahren und nachzusehen, ob bei Jess alles in Ordnung ist.« Steph stand auf. »Sei nicht sauer auf Carmella. Ich habe doch gewusst, dass etwas nicht stimmt.« Zielstrebig ging sie zum Telefon im Flur und ließ die anderen beklommen zurück.
Das Telefon in Cwm-nant klingelte endlos, ohne dass jemand abhob. Seufzend legte Steph schließlich auf, dann wählte sie noch einmal die Nummer in Ty Bran. Die Leitung war nach wie vor tot. Dann versuchte sie es mit Jess’ Handynummer. Es war noch immer abgestellt.
»Lass es gut sein, Steph.« Kim trat hinter sie. Auf dem Tablett in ihren Händen standen eine gekühlte Flasche und Likörgläser. Sie schenkte eines ein und stellte es auf die Ablage beim Telefon. »Trink. Es tut mir wirklich leid. Blöde Idee von mir, das Tarot vorzuschlagen. Ich hätte nicht vergessen dürfen, wie melodramatisch Carmella manchmal ist.«
Steph nippte vom Glas. Der Schuss kalte, starke Zitrone belebte sie ein wenig. »Ich weiß nicht, wen ich noch anrufen soll, Kim. Jess ist ganz allein dort oben. Ich kenne niemanden gut genug, um ihn mitten in der Nacht anzurufen und zu bitten, in die Berge zu fahren und nachzuschauen, ob bei meiner Schwester alles in Ordnung ist.«
»Ich wette, es geht ihr gut.« Kim führte sie in die Küche und setzte sie auf einen Hocker am Tisch. »Weißt du, was - wenn du sie morgen früh immer noch nicht erreichen kannst, dann rufen wir bei der Polizei an, und du erklärst ihnen, wie viel Sorgen du dir machst. Was hältst du davon? Ich glaube wirklich nicht, dass du heute Abend noch anrufen solltest. Nicht einfach wegen der Tarotkarten. Sie würden
dich für verrückt erklären. Und sie würden nicht hinfahren, das weißt du genauso gut wie ich.«
»Und was, wenn jemand sie umbringen will?« Steph trank noch einen
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