Die Tochter des Königs
Beginn der Konferenz ein paar Tage bei ihr zu bleiben. Es ist wie in alten Zeiten, als wir alle zusammen am College waren.« Sie zögerte. »Ich weiß ja, dass es zwischen dir und William momentan nicht ganz einfach ist, obwohl ich dachte, du kämst ganz gut damit zurecht. Aber ist irgendetwas zwischen dir und Daniel vorgefallen, das ich wissen sollte?«
»Nichts. Nur Schulisches. Ich will die Schule vergessen. Und ich will nicht, dass jemand versucht, mich in meiner Entscheidung umzustimmen.«
»Ach, das ist alles? Das konnte Kim ja nicht wissen.«
»Mach dir deswegen keine Sorgen.« Jess schwieg einen Moment. »Ich will heute sowieso in die Stadt. Und zwar allein, also sei so nett und bring Kim taktvoll bei, dass ich nicht mit von der Partie bin, wenn sie einen Gruppenausflug vorschlägt.«
»Natürlich. Wohin willst du?«
»Ich will Eigons Spuren folgen. Mir das Forum und den Senat ansehen. Herausfinden, wo sie gewohnt hat. Ich nehme meinen Skizzenblock mit und schaue mir alles an, wie eine gute Touristin.«
Steph lächelte. »Ich kann dir einen Führer geben. Kim und ich unternehmen was mit den Jungs und lenken sie ab. Daniel hat etwas von der Spanischen Treppe und Keats’ Haus gesagt.«
»Gute Idee. Solange es nichts ist, wohin ich auch gehe.«
Sie schlüpfte in ein loses Leinenkleid, schnappte sich einen Sonnenhut, steckte Block und Bleistifte in ihre Tasche und verließ die Wohnung, ohne William und Daniel überhaupt zu sehen. Wenig später war sie in den Scharen von Passanten untergetaucht und ging, den Führer in der Hand, auf das antike Stadtzentrum zu.
Stunden später musste sie sich eingestehen, dass nichts so aussah wie in ihrem Traum. Mit einem schiefen Lächeln setzte sie sich an einen Tisch unter die Markise einer Bar ganz in der Nähe der Piazza Consolazione und streifte ihre Sandalen ab. Sie fühlte sich ziemlich erschöpft. Sie war ewig über das Forum Romanum geschlendert, hatte die Ruinen besichtigt, bisweilen bei der Führung der einen oder anderen Reisegruppe mitgehört und versucht, sich den Ort zu Beginn des ersten nachchristlichen Jahrhunderts vorzustellen. Das fiel ihr schwer, Eigons Ehrfurcht konnte sie allerdings gut nachvollziehen: ein keltisches Kind, das nur die heimische Architektur kannte und Bäume für die gewaltigsten Monumente hielt, und dann diese Steinwüste. Jess war den Palatin hinaufgestiegen, dankbar für den Schatten der Pinien, Zypressen und Eichen, und hatte überall Ausschau gehalten nach einem vagen Umriss hinter einer Säule, nach einem Kind, das ihr inmitten der Erinnerungen an die Vergangenheit folgte, aber es zeigte sich nicht.
Als Jess schließlich doch eine Gestalt bemerkte und aufschaute, war es niemand, den sie sehen wollte.
»Na, hast du einen schönen Tag gehabt?« Lächelnd zog Daniel den kleinen gusseisernen Stuhl ihr gegenüber zu sich und nahm Platz.
Wie gelähmt starrte sie ihn an. »Was machst du denn hier? Bist du mir gefolgt?«
»Natürlich. Ich kann ja wohl kaum behaupten, ich sei rein zufällig hier vorbeigekommen.« Sein Gesicht war eisig. »Jess, du und ich, wir müssen uns unterhalten.«
»Wo sind die anderen?«
»Bestaunen Keats’ Grab auf dem englischen Friedhof. Sie haben überhaupt nicht gemerkt, dass ich weg bin.« Er lächelte zufrieden.
Jess setzte ihre Sonnenbrille auf. »Dann unterhalte dich mal. Was hast du zu sagen?« Auf dem Tisch vor ihr lag der Rom-Führer, daneben stand ein Glas frisch gepresster Orangensaft. Sie nahm das Glas, trank einen Schluck und hoffte, Daniel würde nicht bemerken, wie sehr ihre Hand zitterte.
Er beobachtete sie eingehend. »Hast du jemandem davon erzählt?«
»Nein.«
Er lächelte. »Sehr vernünftig. Es würde dir sowieso niemand glauben.«
»Ich werde deswegen niemandem davon erzählen, weil ich es vergessen will, Daniel. Niemand soll wissen, was passiert ist.«
»Es ist nichts passiert. Das war alles nur deine Einbildung.« Als der Kellner an den Tisch kam, schaute er kurz auf und bestellte ein Bier. »Du warst betrunken.«
Sie hob die Augenbrauen, und unvermittelt legte sich ihre Angst. Was konnte er ihr hier, inmitten der vielen Menschen, schon antun? »Daniel, du und ich wissen, was passiert ist. Aus unterschiedlichen Gründen wollen wir es beide für uns behalten. Lassen wir’s dabei bewenden. Ich werde versuchen zu vergessen, was du mir angetan hast und dass du gedroht hast, mich umzubringen, als dir klarwurde, dass ich mich erinnern kann.« Sie schob ihre Brille auf die
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