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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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Vater war nichts zu sehen. Hunderte von Gefangenen wurden aus den Kerkern geführt, sie waren barfuß, abgemagert, stanken nach Kot. Krieger, Grundbesitzer, Bauern, die dem Gemetzel irgendwie entkommen waren. Alle wurden von den römischen Wachposten, die freizügig von ihren Schwertern und Peitschen Gebrauch machten, in Reih und Glied gebracht. Auch Adelige der Stämme waren unter den Gefangenen, einige so vornehm gekleidet wie Eigon und Cerys, andere von Wunden oder Krankheiten entstellt. Und sie alle waren gefesselt. Die Spitze des Zugs bildeten Trompeter, Würdenträger in Triumphwagen, Karren voll erbeuteter
Schätze, zwischen die Gefangenen mischten sich Reitergruppen, und überall waren die Legionäre und Hilfstruppen des römischen Heers. Eigon und Cerys hörten den triumphierenden Ruf der Trompete und wussten, dass sich die Spitze des langen Zugs in Bewegung setzte. Es dauerte sehr lange, ehe auch sie Hand in Hand losmarschierten. Langsam, feierlich zog die Prozession durch die gaffenden Menschenmengen auf das Zentrum von Rom zu.
    »Wo ist Papa?« Eigon schaute zu ihrer Mutter hoch.
    Cerys machte eine ausweichende Geste. »Ich kann ihn nicht sehen.« Ihr Gesicht war blass, aber sie hielt sich aufrecht, die Schultern gestrafft, den Kopf hoch erhoben. Eigon biss sich tapfer auf die Lippen und versuchte, es ihrer Mutter gleichzutun. Sie wollte ihre Eltern nicht enttäuschen.
    Die Prozession wand sich durch enge Straßen, gesäumt von hohen Gebäuden, wie Eigon sie noch nie zuvor gesehen hatte. Einige Häuser waren aus Holz, andere aus Ziegel oder Stein, aber alle waren viele Stockwerke hoch, manche hatten Balkone, Fenster und Fensterläden, andere nur blanke Mauern. Sie passierten Tempel und Märkte, Gärten, Villen und Theater und gelangten schließlich auf das gewaltige Forum, auf dem noch größere Gebäude als alle bisherigen standen. Das gleißende Licht brannte sengend heiß auf sie herab. Die Gebäude ragten schier bis in den Himmel, die Tempel bestanden aus reinem Marmor, die Säulen bildeten einen hoch aufragenden schimmernden Wald, auf den breiten, symmetrischen Treppenfluchten saß in drangvoller Enge die Bevölkerung Roms. Eigon erstarrte fast vor Ehrfurcht. Endlich kamen sie zum Stehen, direkt vor dem Podium, auf dem Kaiser Claudius und seine Gemahlin Agrippina mit ihrem Gefolge unter den Standarten Roms saßen. Rund um sie her waren die Gefangenen, umgeben von Tausenden johlenden Zuschauern, auf die Knie gesunken. Viele
von ihnen weinten. Einige flehten bereits um ihr Leben, während andere, wie ihre Mutter, stolz und aufrecht dastanden, ohne den Kopf zu beugen, als sie vor den Kaiser geführt wurden. Erst da sah Eigon auch ihren Vater. Er war von zwei Männern mit gezücktem Schwert durch die Reihen der Gefangenen bis vor das Podium geführt worden, so dass er zum Kaiser hinaufblicken musste. Wie ihre Mutter gesagt hatte, war er wie ein König gekleidet, und mit seiner stolzen Haltung und seiner ruhigen Miene betrachtete er den Mann über sich mit einer stillen Würde, der auch Halsring und Ketten keinen Abbruch taten. Wenn überhaupt, dann war es Claudius, der etwas unsicher wirkte.
    »Habt Ihr etwas zu sagen, ehe wir Euch als Verräter verurteilen, die sich so lange der Macht Roms widersetzt haben?« Claudius’ Stimme übertönte kaum das Lärmen der Menge, und durch sein leichtes Stottern klang sie wenig gebieterisch, doch die Senatoren in seiner Umgebung hörten ihn, ebenso wie die Männer, die Caratacus am nächsten standen.
    Er trat einen Schritt vor, und allmählich verstummten die Menschen. Seine Wachposten wichen respektvoll zurück. Caratacus drehte sich um und bedeutete Cerys und Eigon, zu ihm zu kommen. Deren Bewacher traten ebenfalls zurück, Mutter und Tochter gingen nach vorne und stellten sich rechts und links an seine Seite.
    »Großer Kaiser, ich stehe als Euer Gefangener vor Euch«, begann Caratacus langsam. »Doch ich stehe hier auch als König meines Volkes. Ein Mann meines Geblüts und meines Ansehens wäre nach nur einem Bruchteil der Triumphe, die ich gefeiert habe, als geehrter Gast in Rom empfangen worden anstatt als Gefangener, und Ihr hättet Euch glücklich geschätzt, der Verbündete eines derartig mächtigen Königs zu sein. Ich war der Herrscher, der Rom besiegte
und in die Schranken wies!« Er machte eine Pause. Im großen Forum, gerahmt von zwei Hügeln und umgeben von prachtvollen Bauten, herrschte absolute Stille, selbst die Zuschauer in den hintersten Rängen

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