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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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Durchdrehen.«
    Sie stemmte sich vom Boden hoch, ging zum Fenster und sah hinaus. Es wurde dunkel, der Innenhof war verwaist. Eigentlich wirkte er immer verwaist, obwohl irgendjemand ihn bisweilen doch betreten musste, dachte Jess beiläufig, der Gärtner, der Hausmeister, vielleicht sogar Mieter. Der Friede
dort unten im Hof war fast greifbar, dazu plätscherte das Wasser, das sich in den Brunnen ergoss, und in der Ferne das alles überlagernde leise Dröhnen des Verkehrs.
    Eine Bewegung im Schatten fiel ihr ins Auge. Sie zog die Stirn kraus, und plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie sich vor dem Lichtschein ihrer Nachttischlampe im offenen Fenster deutlich abzeichnen musste.
    Sie beugte sich hinaus und versuchte irgendetwas dort unten zu erkennen. »Eigon?« Sie sprach im leisesten Flüsterton. Dann sah sie ihn. Daniel. Er stand auf dem kurzgeschnitten Rasen, umgeben von den perfekt gestutzten Buchsbaumhecken. Mit verschränkten Armen schaute er unverwandt zu ihrem Fenster hinauf. Panisch lief sie zum Bett und schaltete das Licht aus, dann schlich sie zum Fenster zurück und spähte mit wild pochendem Herzen wieder nach unten. Von Daniel war nichts mehr zu sehen.
    Hinter ihr klopfte es leise an der Tür.
    »Geh weg!«, rief sie mit zitternder Stimme.
    »Jess, ich bin’s, Steph. Bitte lass mich rein. Wir müssen reden.«
    »Nein.« Sie schaute angestrengt in den Garten, versuchte etwas zu erkennen, obwohl es rasch dunkler wurde.
    »Bitte, Jess.« Steph klopfte wieder.
    Jess konnte dort draußen nichts mehr erkennen. Nur das Plätschern des Brunnens unterbrach die friedliche Stille.
    Sie ging zur Tür und schloss auf.
    Steph trat ein. »Warum sitzt du hier im Dunkeln?«
    »Weil …« Jess unterbrach sich gerade noch rechtzeitig. Weil Daniel da draußen steht und mein Fenster beobachtet. Fast hätte sie es laut gesagt. Aber das war unmöglich. Wie sollte er in den Innenhof des Palazzo gelangen? Der Hof war umgeben von hohen Mauern, in die keine Türen eingelassen waren, bis auf die hohen Terrassentüren der vier
Wohnungen im Erdgeschoss, die direkt auf die Kieswege rund um den Garten führten. Keine dieser Türen hatte offen gestanden, alle waren verriegelt und mit Läden verschlossen, die Bewohner waren in die Kühle ans Meer oder in die Berge gereist. Jess seufzte. Sie ging zum Bett und schaltete die Lampe an, dann schloss sie die Fensterläden. »Ist Carmella gegangen?«
    »Ja.« Steph setzte sich aufs Bett. »Offenbar hat Daniel länger mit Kim und William geredet, bevor er gestern gefahren ist. Er hat ihnen seine Version davon erzählt, was in London passiert ist, und sie zu Stillschweigen vergattert.«
    »Hat er ihnen auch erzählt, was in Ty Bran passiert ist?«
    Steph zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich nicht. Davon haben sie nichts gesagt. Er hat sich heftig ins Zeug gelegt, um deine Glaubwürdigkeit zu untergraben, aber Kim und William sind deine Freunde, Jess. Sie glauben dir, nicht ihm. Auch Kim, die ja früher mal eine große Schwäche für ihn hatte.« Sie zögerte. »William liebt dich immer noch, ist dir das klar?«
    »Das hast du schon mal gesagt.« Jess zog die Nase hoch und setzte sich neben ihre Schwester aufs Bett. »Das hindert ihn aber nicht daran, mich für verrückt zu halten. Vielleicht bin ich ja auch verrückt.« Sie lächelte matt.
    »Nein. Du bist einfach nur völlig überanstrengt.«
    »Rhodri könnte dir erzählen, was in Ty Bran passiert ist. Er hat Daniel hautnah miterlebt.«
    »Rhodri Price?« Steph schüttelte den Kopf. »Der ist in Mailand.«
    »Und wahrscheinlich würde er mir auch nicht den Rücken stärken.« Jess ließ sich ins Kissen sinken. »Was soll ich bloß machen?« Sie warf einen Blick zum Fenster. War Daniel in diesem Moment dort draußen und wartete auf eine Gelegenheit, zu ihrem Fenster hinaufzuklettern? Sie schauderte.

    Steph bemerkte es. »Kannst du versuchen, das alles abzuhaken, Jess? Tun wir doch so, als wäre nichts passiert. Daniel ist nicht mehr da. William meinte, wenn du es möchtest, würde er auch nach Hause fahren. Dann kannst du dich entspannen und einen richtig schönen Urlaub hier verbringen. Dir Sachen ansehen und malen. Und dafür sorgen, dass du wieder etwas Farbe ins Gesicht bekommst.« Sie nahm Jess’ Hand. »Wenn es dir hilft, so richtig warm bin ich mit Daniel nie geworden. Er ist zu einnehmend, zu charmant. Und seine Augen sind grausam.« Sie schauderte. »Komisch, das ist mir früher nie aufgefallen. Ich glaube, was Carmella sagt.

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