Die Tochter des Königs
Weiß der Teufel, wie sie es macht, aber sie hat mit ihren Karten ziemlich Recht. Vielleicht ist sie sehr intuitiv oder verfügt einfach über eine gute Menschenkenntnis, aber aus welchem Grund auch immer - ich glaube, mit Daniel hat sie wirklich Recht.« Seufzend schüttelte sie den Kopf, zog die Beine an und schlang die Arme darum.
»Und was ist mit Eigon?«, fragte Jess leise. »Glaubst du auch an sie?«
Steph sah sie von der Seite an. »Ich glaube, dass es in Ty Bran spukt.«
»Aber nicht, dass sie mir nach Rom gefolgt ist?«
Steph machte eine ausweichende Geste. »Ich habe keine Ahnung, wie Gespenster funktionieren, Jess. Heißt es nicht, dass sie kein Wasser überqueren können oder so?«
»Sagt man das nicht von Hexen? Außerdem, eigentlich bin ja ich ihr gefolgt und nicht umgekehrt.«
»Dann weiß ich es nicht. Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Ich möchte nicht, dass du Angst hast. Und ich möchte mich nicht fragen müssen, ob du paranoid geworden bist.« Steph zögerte. »Daniel hat etwas von einem römischen Soldaten gesagt, von dem du dich verfolgt fühlst.«
»Das ist Unsinn.« Ungehalten stand Jess auf und trat wieder zum Fenster. »Wenn jemand mich verfolgt, dann Daniel. Ich habe ihn vorhin in der Dämmerung unten im Garten gesehen.« Sie wirbelte zu Steph herum. »Ich habe es dir nicht gleich gesagt, weil ich wusste, dass du mir nicht glauben würdest! Meinst du, dass ich halluziniere? Wer weiß, vielleicht stimmt’s ja auch.« Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht.
»Auf jeden Fall hast du schreckliche Angst vor ihm.«
»Und deswegen bin ich natürlich paranoid. Und so drehe ich mich im Kreis. Es ist aussichtslos.«
»Bei Tageslicht und im Sonnenschein ist alles besser, Jess. Warum unternehmen wir morgen nicht alle zusammen etwas? Solange du nicht allein bist, kann Daniel dir ja nichts tun, wenn er dir folgt, oder?« Steph glitt vom Bett und stand auf. »Vergessen wir das doch alles und machen einen Ausflug zur Villa Borghese oder etwas in der Art. Vergiss Daniel.«
Vergiss Eigon.
Jess lächelte matt. »Ja, das würde mir gefallen.«
Als Steph gegangen war, blieb sie einen Moment still stehen, dann schlich sie zur Tür und drehte den Schlüssel um. Als Nächstes schloss sie die Fenster und verriegelte sie, zog die Vorhänge zu und ging ins Bett. So heiß es auch sein mochte, sie würde die Fenster nicht offen stehen lassen.
Stunden später war sie immer noch wach. Um halb drei hatte jemand ans Fenster geklopft. Als sie aufgestanden war und durch den Spalt zwischen den Fensterläden hinausgeschaut hatte, hatte sie nur ihr eigenes Spiegelbild gesehen.
Kapitel 14
S ie verbrachten den ganzen Tag in der Villa, besuchten die Galleria Borghese und schlenderten durch die Gärten und den Park, picknickten im trockenen Gras unter einer riesigen Eiche und ruhten sich in der größten Mittagshitze im Schatten der Bäume aus. Als sie sich später langsam auf den Rückweg machten, blieb Jess immer weiter hinter den anderen zurück. Es war hier. Sie war sich sicher. Irgendwo hier hatte die Villa gestanden, in der Eigon gelebt hatte. Es gab nichts, das sie wiedererkennen könnte, keine besonderen Merkmale, an denen sie ihre Überzeugung festmachen konnte, nur das immer stärker werdende Gefühl, dass dies der Ort war, an dem Eigon gewohnt hatte. Jess blieb stehen und sah sich wieder um, spürte die warme Brise im Haar. Es war unangenehm schwül, die Luft war fast zu schwer zum Atmen.
»Eigon?«
War sie hier, zwischen den Bäumen? Jess drehte sich um, strich sich eine Strähne aus den Augen und suchte im Park nach Lebenszeichen. Außer ihr war niemand mehr hier. Vorher war noch eine Gruppe Kinder lärmend zwischen den Bäumen umhergerannt, doch die war fort. Jetzt hörte Jess nur noch das leise Seufzen des Windes in den mächtigen Pinien. Dann erstarb auch das, und sie war von erdrückender Stille umgeben.
Julia!
Die Stimme kam aus großer Ferne.
Julia, wo bist du? Versteck dich nicht!
Jess blieb stehen und versuchte festzustellen, woher die Stimme kam.
Bitte versteck dich nicht. Ich kann das Spiel nicht leiden. Bitte, wo bist du?
»Eigon?«, rief Jess diesmal laut.
»Jess! Jess, was ist denn? Was ist los?« Plötzlich stand Steph neben ihr, hatte sie am Arm gepackt. »Jess, jetzt komm schon, wach auf!« Die Stimme drang laut und scharf an ihr Ohr.
Einen Moment starrte Jess ihre Schwester verständnislos an, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich schlafe nicht«, sagte sie empört.
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