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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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hörte sie aus der Ferne das Grollen und Summen der Stadt, sie roch den Gestank, und sie konnte von den Felsen am Ende des Gartens auch auf sie hinabsehen. Und sicher, die Stadt wirkte erschreckend, aber Eigons Neugier auf die
Welt dort draußen war sehr groß. Nichts wünschte sie sich sehnlicher, als sie mit eigenen Augen zu sehen.
    Die Herrin Pomponia Graecina hatte die Mädchen zu einem Besuch bei sich eingeladen. Eigons Mutter hatte abgelehnt. Sollten die anderen ruhig gehen, aber nicht ihre Tochter. Eigon kannte auch den Grund. Der Mann, der ihr Gewalt angetan hatte, war dort draußen, und er wusste, dass er gefährdet war, bis er sicherstellte, dass Eigon ihn nie identifizieren würde. Und dafür musste er sie töten.
     
    Julia langweilte sich, deshalb hatte sie einen Ausflug geplant. »Wir unternehmen etwas! Ich habe alles organisiert. Flavius begleitet uns, er wartet draußen vor dem Tor mit Pferden auf uns. Wir gehen in die Stadt!«
    Eigon schüttelte den Kopf. »Ich darf nicht.«
    »Warum denn nicht?« Julia fasste sie am Arm. »Ich kann wirklich nicht verstehen, warum du nicht rausgehen willst. Ich weiß, deine Mutter hat es dir verboten, aber es ist kein Verbot des Kaisers. Du bist hier doch nicht eingesperrt, du kannst gehen, wohin du magst! Komm schon, Eigon. In der Stadt gibt es so viel zu sehen. Und deine Mutter erfährt nichts davon. Wir kommen zurück, bevor sie überhaupt merkt, dass du weg bist.« Das war ein gemeiner Seitenhieb. Eigon wusste, dass ihre Mutter ihre Abwesenheit nicht bemerken würde, selbst wenn sie den ganzen Tag ausblieb und die Nacht noch dazu. Cerys hatte immer weniger Zeit für ihre Tochter, jede Minute verbrachte sie mit ihm gebrechlichen Gemahl oder hing in Gedanken der Vergangenheit nach, in der sie noch drei kleine Kinder hatte, die lachend um sie herumtobten und sich unter ihren Röcken versteckten. Julia packte Eigon an der Hand. »Wenn du nicht mitkommst, dann gehe ich eben allein!«
    »Das darfst du nicht. Das ist gefährlich.«

    »Das ist überhaupt nicht gefährlich. Ich gehe doch ständig auf den Markt. Solange wir Sklaven dabeihaben, ist es kein Problem. Aber sag Melinus nichts davon. Er macht dich trübsinnig. Du arbeitest zu viel mit ihm.« Julia hatte nur sporadisch Unterricht bekommen. Sie hatte zwar ein gutes Gedächtnis und liebte Geschichten und Gedichte, weshalb sie auch oft bei Eigons Unterricht dabeisaß, aber sobald er sich mit schwierigen, ernsthaften Themen befasste, stahl sie sich davon. Es machte ihr keinen Spaß, über Astronomie und Geschichte und Recht zu sprechen oder über die korrekten Rituale bei der Anbetung der Götter. Sie hatte auch keine Lust, von medizinischen Techniken und den Eigenschaften der Kräuter zu erfahren. Blumen waren dafür da, dass man an ihnen roch, und Sterne waren dafür da, dass man sie bestaunte und - eines Tages ganz bald, wie sie hoffte - sich unter ihnen küsste. Sie war jung und gesund und hatte auch bereits jemanden gefunden, mit dem sie schäkern konnte: Flavius, der Sohn des Haushofmeisters Aelius. Außerdem hatte sie etwas Angst vor Melinus. Er mochte ja dieselbe Tracht wie alle Haussklaven tragen, aber er verströmte eine Macht und Autorität, die sie einschüchterten, und sie merkte, dass er ihre Unbekümmertheit nicht guthieß. Deswegen war sie überzeugt, dass er auch den Ausflug missbilligen würde. »Komm schon. Nur ein paar Stunden. Uns passiert wirklich nichts, das verspreche ich dir.«
    Standhaft schüttelte Eigon den Kopf. »Ich kann nicht, das habe ich dir doch schon gesagt.«
    »Du kannst nicht, oder du willst nicht?« Julia kniff ihre kornblumenblauen Augen zusammen. »Hast du vielleicht Angst?«
    »Nein, natürlich nicht.« Gut drei Jahre waren seit ihrer Ankunft in Rom vergangen, obwohl es sich für Eigon eher wie dreißig anfühlte. Die Ereignisse, die ihre Mutter zu ihren
Warnungen veranlasst hatten, lagen so weit zurück und waren so tief vergraben, dass sie jetzt nicht einmal mehr in ihren Alpträumen auftauchten. Eigon gab nach.
    Sobald der Unterricht am nächsten Tag zu Ende war, schlichen sie, in Umhänge gehüllt, zum Tor der Villa. Die Wachposten waren bestochen worden und würden nichts sagen. Zwinkernd traten sie vom Tor zurück und betrachteten angelegentlich den Himmel, während die beiden Mädchen leise kichernd zu der Stelle liefen, wo der schmucke junge Flavius und zwei Sklaven mit Pferden im Eichengebüsch auf sie warteten.
    Es war sehr lange her, dass Eigon zu Pferd gesessen

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