Die Tochter des Leuchtturmmeisters
ältere Frau blickte unruhig. Ihr Gesicht war freundlich, aber energisch, die weiße Schürze tadellos gebügelt.
»Nein, nein, alles war bestens. Ich hatte ihr ein Trinkgeld geben wollen, aber …«
»Samstag«, wiederholte die Frau und überlegte, ihr Gesicht drückte Erleichterung aus. »Wissen Sie, um welche Zeit es war?«
Arvid berichtete, wann sie das Restaurant besucht hatten.
Die Stimme der Frau war voller Wärme und Achtung, als sie erklärte: »Das ist ein äußerst tüchtiges Mädchen, ist ja auch kein Wunder, wenn man unter solchen Bedingungen groß geworden ist.«
»Unter solchen Bedingungen?« Arvid überlegte, wie viel er fragen konnte, ohne suspekt zu wirken.
»Sie heißt Elin Strömmer und ist die Tochter von Axel Strömmer, dem Leuchtturmmeister auf Pater Noster«, sagte die Frau.
Elin Strömmer? Aber natürlich. Das war doch Karl-Axels Schwester. Sie waren sich nur ein paar Mal begegnet, und in den letzten Jahren hatten ihn die Geschäfte der Firma ja auch voll in Anspruch genommen.
»Bitte entschuldigen Sie, Herr Stiernkvist.« Die Kellnerin wies auf einen Tisch, von dem man sie gerufen hatte.
»Selbstverständlich.«
Sie wandte sich zum Gehen, drehte sich aber noch einmal um.
»Möchten Sie, dass ich ihr etwas ausrichte?« Ihre klugen blauen Augen sahen ihn an.
Arvid zögerte, zog dann aber ein Kuvert aus der Innentasche, suchte einen Geldschein heraus und steckte ihn hinein, bevor er das Kuvert versiegelte.
»Können Sie ihr das bitte geben?« Er meinte in ihren Augen Enttäuschung zu lesen, als er den Schein zückte, und fragte sich, was sie wohl sagen würde, wenn sie von dem Brief im Kuvert wüsste.
Er hatte lange an den Formulierungen des kurzen Schreibens gefeilt, völlig unentschlossen, wie er sich ausdrücken sollte. Obwohl auf dem Blatt nur vier Zeilen standen, hatte er genauso viele Abende gebraucht, um sie zustande zu bringen. Jetzt war es zu spät, um sich die Sache anders zu überlegen. Wann würde Elin Strömmer den Brief wohl erhalten?
Der Arzt faltete die Hände und legte sie auf die vor ihm liegende Akte. Per sah ihn an und begriff sofort.
»Krebs?«, fragte er, noch bevor der Arzt etwas sagen konnte.
»Ja«, bestätigte der.
»Verdammt. Und wo?«
»Im Magen. Du musst Schmerzen haben.«
»Mal ja, mal nein. Ich hatte zwar den Verdacht, dass da etwas ist, doch habe ich mich gescheut, dem nachzugehen. Meine Eltern sind beide an Krebs gestorben.«
»Wir wollen noch ein paar weitere Untersuchungen vornehmen …« Der Mund des Arztes bewegte sich, aber Per war sich nicht sicher, was die Worte, die der Arzt sagte, bedeuteten. »Behandlung … Bestrahlung … vitale Organe … Zellgifte …«
Per hörte die Worte, aber es war, als würden sie nicht bis zu ihm vordringen. Eine Stunde später stand er auf dem Parkplatz des Krankenhauses und wusste nicht, was er als Nächstes tun sollte. Als er die automatischen Glastüren vor dem Besuch durchschritten hatte, war er ein Mann voller Hoffnung und mit einer Zukunft gewesen, jetzt auf dem Rückweg war er ein anderer. Von den Straßenarbeiten neben dem Krankenhaus roch es stickig nach heißem Asphalt. Er konnte sich nicht erinnern, dass ihm dieser Geruch früher Übelkeit bereitet hätte. Mit ganz neuem Blick schaute er zum Himmel. Eine Schwalbe flog dort oben, bevor sie im Sturzflug auf den Eingang der Klinik hinabstieß. Die Frühlingssonne schien, und Schneeglöckchen und Krokusse hatten sich aus der feuchten Erde geschoben, obwohl sie auf der Nordseite standen.
Er hockte sich hin und betrachtete die schwarze Erde im Beet an der Notaufnahme. Nahm eine Handvoll davon auf und schloss die Finger um die feuchte Masse. »Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.« Woher ihm dieser Gedanke kam, wusste er nicht, doch hatte der zur Folge, dass er die Erde hastig fallen ließ. Er stand auf und wischte die Händean der dunklen Hose ab, die dadurch zwar schmutzig wurde, aber das war wirklich seine geringste Sorge. Er war nicht gerade Gottes liebstes Kind gewesen, darüber war er sich völlig im Klaren. Aber müsste es nicht auch zählen, wenn man bereute und versuchte, die Dinge ins Lot zu bringen, bevor es zu spät war? Die Frage war nur, ob es das nicht bereits war. Es gab nicht gerade wenig, was er sich vornehmen musste, und er hatte keine Ahnung, wie viel Sand noch im Stundenglas übrig war.
Mit entschlossenen Schritten ging er zum Wagen. Steckte den Schlüssel ins Schloss, öffnete die Tür und setzte sich hinein. Er
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