Die Tochter des Leuchtturmmeisters
pflichtschuldigst.
»Von den Insekten«, erwiderte Margareta. Er nickte, nicht fähig, auch nur ein Wort zu sagen. So viele Gedanken wirbelten ihm durch den Kopf.
»Die Umgebung hat die ganze Zeit über Einfluss, hast du das nicht immer gesagt?« Sie lächelte trotz seines abwesenden Blicks und zeigte auf die linke Hand des Mannes. »Schau mal, noch bis vor kurzem hat er hier einen Ring getragen.« Margareta wies auf die deutliche Einkerbung, die der Ring am Finger hinterlassen hatte.
»Du meinst, jemand hat ihm den abgenommen, als man ihn fand?«, fragte er empört. »Das ist ja die reinste Leichenfledderei.«
»Die Hand war sogar geballt und hat Schaden genommen, als man sie aufgebogen hat, um an den Ring zu gelangen.« Margareta zeigte an der knöchernen Hand, was sie meinte.
»Hast du eine Todesursache feststellen können?« Er wusste, wie kompliziert es sein konnte herauszufinden, was zum Tod eines Menschen geführt hatte.
»So wie die Leiche aussieht, ist es schwierig zu sagen, woran der Mann gestorben ist. Am Skelett keinerlei Traumata,Anzeichen äußerer Gewalt habe ich nicht gefunden.« Margareta klemmte sich eine Haarsträhne hinter dem Ohr fest.
»Der Rumpf ist außerordentlich gut erhalten, von den Weichteilen ist sonst normalerweise nichts übrig.« Seine Hand wies auf das, was er meinte.
»Daran habe ich auch gedacht. Überhaupt ist er unglaublich gut erhalten. Allerdings lässt sich nicht sagen, ob man ihm nicht beispielsweise ein Messer ins Herz gejagt hat.« Sie zeigte auf den Oberkörper, wo nur noch die Knochen des Brustkorbs übrig waren.
»Ja, stimmt. Eingemauert, hast du gesagt?«
»In einem Vorratskeller. Jedenfalls sind schon zwei, drei Wochen großer Hitze erforderlich, damit ein Körper zu trocknen beginnt, aber wenn das erst angefangen hat, stoppt ja der Verwesungsprozess … Der Vorratskeller war, wie gesagt, gut durchlüftet. All das lässt mich vermuten, dass es Sommer war, als er starb und eingemauert wurde, außerdem hat die Spurensicherung Blumen gefunden, Grasnelken. Du weißt, diese rosafarbenen Strandblumen. Es hat sich herausgestellt, dass sie vor allem im Mai, Juni blühen, manchmal aber auch bis weit in den Herbst.«
»Ein heißer Sommer und darauf ein kalter Winter.« Er stützte den Stock auf den Boden und bewegte sich ein Stück zur Seite, studierte den Mann auf der kalten Tischplatte. Sein Herz tat einen Extraschlag. In jenem Jahr war es nicht Herbst geworden. Die Sommerwärme hatte sich mit Rekordtemperaturen bis in den Oktober gehalten, und danach hatte die Kälte eingesetzt. Es war trocken und kalt gewesen. Er versuchte sich zu erinnern, ob es geregnet hatte, glaubte es aber nicht. Der Winter hatte abrupt begonnen, als wäre der Herbst einfach vergessen worden.
»Du hast nicht über Vergiftung nachgedacht?« Er biss sich auf die Zunge. »Wenn Magen und Darm geleert waren, bevor er starb, ist die Anzahl an Bakterien schließlich reduziert. Das könnte erklären, weshalb der Rumpf so gut erhalten ist.«
»Eine ziemlich schnelle Schlussfolgerung, besonders da sie von dir kommt. Es hängt ja außerdem davon ab, womit er vergiftet worden ist, oder?«, fragte Margareta verwundert. Sie sah ihren alten Lehrmeister nachdenklich an.
Ich werde ihr nichts vormachen können, dachte er. Vielleicht anderen, aber nicht ihr.
»Du gehst davon aus, dass er mit etwas vergiftet wurde, dass zu Erbrechen und Durchfall führte. Wo bleiben da die sachlichen Analysen, die du immer befürwortet hast? Dass man für alles offen sein und sich nicht zu früh einschränken soll?«
Er hatte versprochen, nie etwas zu sagen. Kein Wort verlauten zu lassen. Aber schließlich war es nun so lange her. Er konnte ihr ja wohl auf die Sprünge helfen, ein bisschen in die richtige Richtung weisen? Dass er heute Abend hergekommen war, dass sie angerufen hatte, war das nicht ein Zeichen? Es gab ihm die Möglichkeit, den Kreis zu schließen. Er dachte an den Eid, den er als Arzt vor so vielen Jahren geleistet hatte. Besonders an den Passus: Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod meiner Patientinnen und Patienten hinaus wahren. Im Laufe der Jahre hatte er oft darüber nachgegrübelt. Hatte versucht, diese Worte auf andere Weise auszulegen. Die Quintessenz war ja wohl, dass man den Patienten weder im Stich ließ noch ihn hinterging.
»Hör mal«, sagte Margareta jetzt. »Was weißt du, was ich nicht weiß?« Ihr Blick ließ ihn nicht los.
Margareta konnte schweigen, das wusste
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