Die Tochter des Magiers 02 - Die Gefährtin
manche behaupten, er habe gar keinen Grund. Ich kenne das Fenn gut, so gut es einer von uns nur kennen kann, aber
es ist riesig. Sie kann überall schlafen – oder nirgends. Manche behaupten, sie schlafe in den Wolken.«
Rema erzählte von den Dhaig, den Inseln im Sumpf, den einzigen Stellen, die so etwas wie festen Grund boten. Sie wurden auch die Weideninseln genannt, denn diese Bäume pflegten dort zu wachsen. Im Westen bildete eine ganze Kette dieser Inselchen die Grenze zum Leugfenn. »Aber dorthin gehen wir nicht, denn es gibt dort Trugbilder, und die Toten entzünden dort Irrlichter, um Fremde ins Verderben zu locken.«
Einmal, als Rema noch ein Kind gewesen war, hatte ihn sein Vater dorthin mitgenommen. Er konnte sich noch gut an das Riesenschilf erinnern und auch an die Flussechsen, die dort besonders alt und groß wurden. Der Vater habe ihn auf einer der Inseln auf eine Weide klettern lassen. Es sei ein sonniger und trockener Tag gewesen, mit guter Sicht, aber ein Ende der Sümpfe habe er dennoch nicht sehen können. Und genau das habe ihm sein Vater wohl auch zeigen wollen. Und Rema erklärte Maru, dass sich dann irgendwo in weiter Ferne der Weiße Dhanis hinab ins Meer schlängele. Aber selbst dort fände sich noch lange nicht das Ende der Sümpfe: »Damals hat mein Vater mir erzählt, dass sie bis an den Rand der Welt reichen, aber ich weiß inzwischen, dass das nicht stimmt. Irgendwo muss wieder festes Land beginnen.«
»Warst du schon mal dort?«
»Wo?«
»Auf festem Land?«
»Ich war schon dreimal in Ulbai. Das liegt auf einem Hügel.«
»Und außerhalb Awis?«
»Nein, noch nie, warum?«
»Nur so«, sagte Maru.
Das Gewitter wurde stärker, und Wasser drang sogar noch durch die Matte ins Boot. Rema schöpfte es mit dem Holzeimer geduldig hinaus.
»Der alte Dwailis, wieso lebt er alleine, mitten im Sumpf?«, fragte Maru irgendwann.
Rema antwortete mit einem Schulterzucken. »Keine Ahnung, da lebt er schon, solange ich denken kann. Ich glaube, er mag das Dorf nicht. Und das beruht auf Gegenseitigkeit.«
»So wie bei Wika?«, fragte Maru.
»Nein, anders. Er ist ja keine Kräuterfrau«, sagte Rema. Maru kicherte leise, dankbar für den kleinen Scherz.
»Man sagt«, fuhr der Junge fort, »er ist ein sehr guter Fischer, zu gut, wenn du die anderen fragst.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Er hat immer Erfolg. Selbst, wenn Alwa uns zu zürnen scheint und unsere Netze und Schnüre leer bleiben – er fängt immer etwas. Er braucht wenig für sich selbst und verkauft nicht oft etwas, und wenn, dann gleich in Ulbai. Aber ich weiß noch, als wir einmal einen schlimmen Mond hatten, voller Stürme und ohne einen einzigen guten Fang, da kam er und hat uns, uns Fischer, mit Fisch versorgt.«
»Und das nimmt man ihm übel?«
»Ich sagte ja, zu viel Glück wird bei uns nicht gerne gesehen.«
»Dieses Land ist seltsam«, sagte Maru nachdenklich.
»Ist es anderswo besser?«, fragte Rema.
»Nein, aber trockener.«
»So? Warte – ich glaube, es hat aufgehört.« Rema schlug die Decke zurück. Der Schauer war wirklich weitergezogen. Die tief stehende Sonne warf lange goldene Strahlen zwischen die Wasserbäume. Ein Storch stakte hindurch. Ein Regenpfeifer übertönte den Teppich der Unkenrufe. Für einen Augenblick sah der Sumpf wundervoll aus. Und jeder Gedanke an eine Große Seeschlange oder einen drohenden Schatten war weit entfernt.
Eschet
Jeder Schab Eschet sei verantwortlich seinem Schab Ansai, der wie
derum seinem Schab Kischir gehorche. Jener lege Rechenschaft ab dem
Schab-ut-Schabai, der allein dem Kaidhan untersteht, und weder
der Hohe Verwalter noch die Priester der Hüter erteilen ihm Befehle.
Allein der Abeq Strydhs mag ihm Rat geben. Jeder Schab jedoch, vom
Schab-ut-Schabai bis zum Schab Eschet bedenke, dass er sein Leben
dem Kaidhan schuldet und jenem stets in allem und vor allen anderen
verantwortlich ist.
Etellu-Kaidhan, Anweisung an das Heer
Als sie sich dem Dorf näherten, war die Abenddämmerung schon weit fortgeschritten. Maru staunte immer noch, wie schnell in diesem Land die Sonne unterging. In Akyr dauerte das wesentlich länger. »Vielleicht hat Edhil es einfach eilig, dieses trostlose Land zu verlassen«, dachte sie. Wieder fragte sie sich, was Menschen in dieser Wasserwüste hielt. Sie war noch keinen ganzen Tag hier, und schon hatte sie viele düstere Geschichten gehört: Der Vater von Rema, der Mann von Hiri, die Söhne von Wifis, die Fischer, die
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