Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
Seite. Er ist Alwa gewidmet. Hier beten nur die, die vom Fluss leben. Das ist gut, sehr gut«, flüsterte Temu.
»Und wie kommen wir hier ungesehen heraus?«
Temu spähte um die Ecke. »Gar nicht, fürchte ich. Am besten, wir gehen einfach mitten hindurch und tun so, als wenn nichts wäre«, schlug er leise vor.
»Ganz einfach«, murmelte Maru. Aber da auch sie keinen besseren Weg sah, versuchten sie es. Sie traten in die Halle, vorbei an einem alten Priester, dem vor Verblüffung der Mund offen stehen blieb, und mitten durch die kleine Schar der Betenden. Sie verließen den Tempel, bevor noch irgendjemand eine Frage stellen konnte, sprangen die Stufen hinab und hasteten über einen kleinen, menschenleeren Platz in die nächste Seitenstraße.
»Komm schnell, bevor sie Verdacht schöpfen«, rief Temu und bog in eine weitere Gasse ein.
»Du weißt, wo wir sind, Temu?«
»Gar nicht weit von meinem Haus entfernt. Die Götter meinen es gut mit uns.«
»Glaubst du, dass wir deinen Schwager dort treffen?«
»Das vermag ich nicht zu sagen, aber ich glaube, es wäre gut, wenn du deine Kleidung wechselst, Maru. Du fällst zu sehr auf. Meine Schwester wird hoffentlich irgendetwas für dich haben.«
Maru nickte. Temu erwies sich als erstaunlich umsichtig. Sie blickte zurück. Über der Oberstadt stieg grauer Rauch auf. Einen Augenblick war sie versucht, es für sich zu behalten. So hätte es Tasil gehalten. Er hätte alles zur Seite gedrückt, was seine Pläne gefährden konnte. Aber sie war nicht Tasil. »Temu, schau!«, rief sie.
Der Schreiber blickte in die angegebene Richtung. »Ist das …? Ist das … nein!«, entfuhr es ihm.
»Ich fürchte doch, Temu. Das kommt aus dem Bet Schefir.«
»Diese Narren!«, flüsterte er und stand wie vom Donner gerührt.
Maru ließ ihm einen Augenblick Zeit. Offenbar hatte sich im Tempel der Fischer niemand so sehr über ihr Auftauchen gewundert, dass er der Sache nachgehen wollte. Sie wurden nicht verfolgt. »Haben die keine Angst, dass noch andere Häuser Feuer fangen?«, fragte sie nach einer Weile.
»Wie? Das fehlte noch, auch wenn es ihnen recht geschähe. Aber nein, es ist nicht viel Holz im Bet Schefir. Die Decke, die Tische und die Lagergestelle. Die Mauern sind aus Stein. Ich denke, sie werden dem widerstehen. Und ich hoffe doch, dass irgendjemand dort oben in der Lage ist, wieder Ordnung zu schaffen und den Brand zu löschen. Man sollte sie allesamt in den Kerker werfen!«
»Wir müssen weiter, Temu«, drängte Maru.
»Ja, natürlich«, murmelte er, »immer weiter.«
Sie liefen weiter, aber immer wieder warf Temu einen Blick zurück. Er war bekümmert, das konnte er nicht verbergen. Doch er schien das Verhängnis, das über seine Schrifttafeln hereinbrach, weit besser zu verkraften, als Maru gedacht hatte.
Temus Schwester hieß Subali und war ein Mensch von bemerkenswerter Schwerfälligkeit. Sie schien nicht begriffen zu haben, welche großen Ereignisse in der Stadt vorgingen, und als Temu versuchte, es ihr zu erklären, behauptete sie allen Ernstes, das ginge sie nichts an. Dann schalt sie Temu, weil er zwei Nächte nicht zu Hause gewesen war und, viel schlimmer, ihr vorher nicht Bescheid gesagt hatte. Sie schalt ihn, weil er eine schmutzige Fremde mit ins Haus brachte, und sie schalt ihn, weil er ernsthaft verlangte, sie solle dieser Halbwilden auch noch von ihren Kleidern geben. Subali war viel größer als Maru, sogar größer als Temu. Vor der Belagerung dürfte sie auch von sehr kräftiger Statur gewesen sein, denn
jetzt schlotterte ihr Garwan um ihre abgemagerte Gestalt wie ein übergroßer Sack. Maru war längst klar, dass sie hier nichts Passendes finden würde. Aber immerhin schaffte es der Schreiber, seiner Schwester zwei abgelegte alte Umhänge abzuringen. »Ich nehme an«, sagte er, als Subali in einen Nebenraum schlurfte, um das Verlangte zu holen, »dass ich auch einen brauchen werde. Man hat mich schließlich mit dir zusammen gesehen.«
Die Umhänge waren aus grober Wolle und alt, aber sie konnten ihre Gesichter im Schatten der Kapuze verbergen, und das war es, worauf es ankam. Kullu, Subalis Mann, war natürlich nicht im Haus.
»Ich nehme an, er sitzt bei den anderen Schmieden«, meinte Subali mürrisch. »Hier gäbe es genug zu tun, aber er treibt sich lieber in der Schmiede oder irgendeiner Schenke herum. Er würde vermutlich unsere letzten Segel Kupfer vertrinken, wenn es noch Brotbier in der Stadt gäbe.«
»Und du bist sicher, dass er
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