Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
Schefir. Maru holte erst einmal tief Luft. Dann sah sie sich um. Der Gang war kurz, mehrere verschlossene Türen hüteten die Geheimnisse der Stadt.
Plötzlich jammerte Temu laut auf: »Meine Tafeln – sie zerstören meine Tafeln!« Offenbar wurde ihm erst jetzt bewusst, was die rasende Menge dort oben anrichtete. Er nahm mit zitternden Fingern seinen Schlüssel zur Hand.
Maru hielt ihn auf, bevor er ihn ins Schloss stecken konnte. »Temu, nicht, sie würden dich umbringen.«
»Aber was habe ich ihnen denn getan?«
»Nichts, außer dass du mit mir zusammen geflüchtet bist. Du hast mich gerettet, ich stehe tief in deiner Schuld.«
»Aber sie zerstören das Wissen der Stadt«, rief Temu. Er hatte vermutlich gar nicht gehört, was sie gesagt hatte.
»Sie werden sich nicht die Mühe machen, die Tafeln zu zerstören.
Sie werfen die Regale um. Aber ich bin sicher, dass die meisten deiner Tafeln das gut überstehen werden«, versuchte sie ihn zu trösten.
»Sie werden zerbrechen. Tausende von Tafeln, Jahre der Arbeit von vielen Schreibern, vernichtet von diesen … dummen Menschen«, murmelte Temu verzweifelt.
»Ich weiß, es ist furchtbar. Hoffen wir nur, dass sie diese Kammer nicht finden.«
Temu seufzte, dann straffte er sich. »Du hast recht. Es ist, wie es ist, wie man so sagt. Ich werde später darüber klagen. Jetzt müssen wir erst einmal hier weg.« Er blinzelte, seufzte, und dann fuhr er fort: »Damit kommen wir jetzt zu dem eigentlichen Grund, warum ich dich bisher nicht hier hereinlassen durfte.«
Temu drückte sich wieder an Maru vorbei, ging zu einer der fünf Türen und öffnete sie. Es war keine Kammer.
»Ein Geheimgang?«, fragte Maru verblüfft. »Wo führt der hin?«
»Ich bin noch nicht dazu gekommen, das herauszufinden, Maru, aber ich denke, jetzt wäre ein geeigneter Zeitpunkt.«
»Ich danke den Akkesch für ihre Geheimniskrämerei«, entschlüpfte es Maru, und sie folgte dem Schreiber in den schmalen und niedrigen Gang. Und auch diese Tür verschloss Temu wieder. Dieses Haus der Schrift steckte voller Überraschungen, und Temu war nicht die geringste davon. Der Gang lief eine Zeit lang geradeaus, dann bog er einmal scharf links ab, dann, vielleicht hundert Schritte weiter, schwenkte er wieder nach rechts. Maru hatte keine Ahnung, wo er sie hinführen mochte. Sie stießen auf ein Hindernis. Eine weitere Pforte. Alt, staubig und ganz offensichtlich lange nicht benutzt. Sie suchten den Mechanismus, der sie öffnen würde, aber sie fanden ihn nicht.
»Das wäre zu ärgerlich, wenn wir hier nicht weiterkämen«, murmelte Temu.
Das war untertrieben. Maru war sich inzwischen darüber klar geworden, dass die Menge vielleicht noch lange im Bet Schefir nach ihr suchen würde. Und danach vermutlich in der ganzen Stadt. Aber sie konnte sich nicht verstecken, sie konnte nicht warten. Sie hatte Aufgaben zu erledigen, wichtige Aufgaben, um diese Menschen vor ihrem Verhängnis zu retten. Tasil hegte finstere Pläne. Der Frieden, den alle so ersehnten, war noch lange nicht erreicht. Und dann wartete irgendwo im Fluss noch ein Daimon auf sie und ihr Blut. Eine unbestimmte Ahnung sagte Maru, dass er sich noch an diesem Tag zeigen würde. An diesem Tag würde sich ihr Schicksal entscheiden und das der ganzen Stadt, ja, aller Akkesch. Und sie steckte hinter einer armseligen Holztür fest. Sie schob Temu zur Seite und prüfte die Tür. Sie war alt, der Gang feucht. Das Holz wirkte mürbe. Maru schob Temu sanft ein Stück zurück und gab dann der Tür einen kräftigen Tritt mit der Schuhsohle. Das Holz ächzte.
»Zu zweit«, schlug Temu vor.
Sie brauchten drei weitere Tritte, und dann brachen die Bretter aus ihrer Verankerung. Der Weg war frei. Als sie sich durch den Rahmen zwängte, trat Maru auf die Schwelle. Es gab ein hörbares Klicken, und das Schloss sprang auf. Die Holztür fiel ächzend zusammen. Auf der linken Seite schob sich scharrend eine Steintafel zur Seite. Dort war also der Ausgang.
»Akkesch«, murmelte Maru kopfschüttelnd.
»Auf das Einfachste kommt man oft nicht«, meinte Temu mit einem erleichterten Seufzen. Sie betraten eine gemauerte Kammer. Eine Treppe führte nach oben. Gedämpftes Stimmengemurmel wehte von dort herab.
»Wo sind wir hier?«, fragte Maru.
»Das werden wir gleich erfahren. Ich hoffe nur, wir sind weit genug entfernt von diesen Verrückten.«
Die Treppe mündete in eine hohe Halle. Es war ein Tempel.
»Ah, ich glaube, das ist der Fischertempel der Weißen
Weitere Kostenlose Bücher