Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
schenkte ihm eine Möglichkeit, seinem Leben eine bessere Richtung zu geben. Wie ich höre, soll er ein außerordentlicher Erzähler geworden sein. Ich weiß, es ist in gewisser Weise furchtbar, doch frage ich mich, ob er es
in dieser Kunst ebenso weit gebracht hätte, wenn er seine Augen hätte behalten dürfen.«
Maru erwiderte daraufhin nichts. Aber sie fragte sich, welche von den Geschichten, die sie über Biredh gehört hatte, die wahre war. Sie waren inzwischen unterhalb der Festung angekommen. Sie umrundeten sie und erreichten das Hafenviertel. Hier war mehr Leben auf den Straßen. Maru ermahnte Temu, langsam zu gehen, denn es galt, nicht aufzufallen. Die Erschütterung der Menschen über den Tod ihres Fürsten war auch hier am Hafen, im dunkelsten Viertel der Stadt, deutlich spürbar. Und nun hatte es in der Oberstadt noch einen verheerenden Brand gegeben. Zum Glück habe es nur das Bet Schefir getroffen und nicht die Wohnhäuser oder gar die Tempel, wie man sich zuraunte. Temu lief rot an, als er das hörte, und Maru drückte seinen Arm, um ihn daran zu erinnern, dass sie nicht auffallen durften. Jeder Gesprächsfetzen, den Maru aufschnappte, sprach von Sorgen und Gefahren: Wer würde jetzt für sie zu den Göttern sprechen? Wer würde Luban nachfolgen? Malk Gerru war am Fieber erkrankt und Danami, seine Großmutter, ebenso. Ob auch dahinter diese verfluchte Kaschakku stand? Sie hatte Umati verhext und das Bet Schefir in Brand gesteckt. Das galt inzwischen als sicher. Und mehr als einmal hörte Maru jemanden sagen, dass er hoffte, die Elende sei mit verbrannt. Es fiel Maru schwer, nicht einfach loszurennen, um diesen Gerüchten zu entfliehen, und sie war sehr froh, als sie endlich die Straße der Schmiede erreichten.
Kullus Schmiede fand sich in einem Hinterhof. Der kleine Platz war mit allerlei, zerbrochenen Fässern und Kisten vollgestellt. Beherrscht wurde er aber von einem großen Schmiedeofen, der von vielen Luftschächten versorgt wurde. »Was ist das?«, fragte Maru.
»Weißt du es nicht? Alles Land gehört dem Kaidhan, wie man so sagt. Und nicht nur das Land, auch die Essen sind sein. Nur, wenn
das Bet Kaidhan keine Arbeit für sie hat, dürfen die Schmiede auf eigene Rechnung arbeiten.«
Doch jetzt gab es gar keine Arbeit, Blasebälge und Hämmer ruhten, denn es war schon lange weder Kupfer noch Zinn oder gar Eisen in die Stadt gekommen. Kullus Schmiede war ein niedriger Kalksteinbau. Vielleicht war er einmal weiß gewesen, doch der Ruß, den das Handwerk mit sich brachte, hatte seine Mauern mit einem schwarzen Schleier überzogen. Temu pochte an die Pforte. Nichts geschah. Er klopfte lauter. Schließlich näherten sich auf der anderen Seite schlurfende Schritte der Tür. Ein Riegel wurde zurückgeschoben, und die Pforte öffnete sich einen Spalt breit.
»Ja?«, fragte eine mürrische Stimme.
»Ich bin es, Temu«, sagte der Schreiber und schlug seine Kapuze zurück.
Die Tür öffnete sich eine weitere Handbreit. »Du? Hier? Was ist, hast du nichts zu schreiben, da oben, in der Oberstadt?«, fragte die Stimme und kämpfte mit einem Gähnen.
Offenbar hatte der Mann das Feuer des Bet Schefir verschlafen.
»Im Augenblick nicht«, beantwortete Temu die abweisende Frage, »aber ich habe einen Auftrag für dich.«
»Einen Auftrag? Du?«
»Eigentlich diese junge Frau an meiner Seite. Schmiedearbeit, sagt sie.«
Die Tür ging jetzt so weit auf, dass der Schmied den Kopf hinausstrecken konnte. Er betrachtete Maru von oben bis unten mit missmutiger Miene: »Zahlt sie gut?«
Das war nun eine Frage, auf die Maru nicht vorbereitet war. Sie hatte an alles Mögliche gedacht, aber nicht daran, dass der Schmied für seine Arbeit bezahlt werden wollte. Zum Glück war Temu geistesgegenwärtig genug, an ihrer Stelle zu antworten: »Sie zahlt sogar sehr gut.«
»So sieht sie eigentlich gar nicht aus«, meinte Kullu mürrisch. »Was will sie überhaupt? Einen Ring für ihren Liebsten? Oder soll ich etwas in Ordnung bringen, das sie zerbrochen hat? Es tut mir leid, aber ich habe kein Stück Bronze oder Kupfer mehr, dass dazu dienen könnte.« Kullu machte immer noch keine Anstalten, sie hineinzubitten.
Temu sah Maru fragend an – sie hatte ihm ja nicht gesagt, was genau sie vorhatte.
»Es geht um einen Dolch, eine Verzierung, wenn du so willst, Meister Kullu.«
»Dolch?«, fragte Kullu misstrauisch, »für ein Mädchen?«
Maru trat ein Stück näher heran und flüsterte: »Es ist nicht nur einfach
Weitere Kostenlose Bücher