Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
die Nacht. Sie lief über den Innenhof und strich mit der Hand durch das frische Wasser. Das Gefühl zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht. Dann suchte sie ihre Kammer auf, verhängte das schmale Fenster mit einem schweren Tuch, warf sich auf ihre Schlafstatt und schlief fast sofort ein.
Da war ein See, unter fremden Sternen. Und die Sonne zog darüber hinweg, wieder und wieder. Riesige Palmen wuchsen dort, und seltsame Tiere kamen zur Tränke. Und sie lag im seichten Wasser und beobachtete. Sie war es selbst, und sie war es doch nicht. Die Sonne, der Mond, die Sterne wirbelten über den Himmel. Die fremdartigen Geschöpfe verschwanden, und Flussechsen bevölkerten den See in großer Zahl. Sie mieden Maru. Und dann kamen zweibeinige Geschöpfe, Menschen. Wenige zunächst. Sie
bauten Schilfhütten am Ufer, aber sie fürchteten die Echsen und kamen selten an den See. Es wurden mehr und mehr, und aus einzelnen Hütten wuchs ein Dorf. Die Dorfbewohner entdeckten die silbernen Fische und fingen und aßen sie. Manchmal wagte sich einer von ihnen dabei zu weit hinaus, und die Echsen töteten ihn. Das aber nahmen die Menschen nicht hin. Sie verübten Rache und erlegten dann nicht bloß einen, sondern viele der graugrünen Seebewohner. Marus Neugier erwachte. Sie schlich sich nachts in die Hütten und belauschte die Bewohner im Schlaf. Sie träumten, wie die Flussechsen auch. Aber ihre Träume waren viel farbiger, größer und wilder als die der trägen Seebewohner, und Maru trank sie gierig und konnte nicht genug davon bekommen. Sie bemerkte, dass die Träume die Farbe wechselten, wenn sie näher kam. Dunkel wurden sie und schwer, und die Menschen stöhnten im Schlaf. Aber sie konnte der Versuchung nicht widerstehen. Bald ahnten die Landbewohner ihre Anwesenheit, ja es wuchsen Menschen dort auf, die ihre Gegenwart fühlten und den anderen von ihr berichteten. Einen Altar errichteten sie, später ein gemauertes Haus, ganz für Maru allein. Doch war es seltsam leer, kein Wasser war darin, und die Opferfeuer, die darin brannten, wärmten Maru nicht. Lieber kostete sie weiter von den dunklen Träumen der Schläfer, aber es gefiel ihr, dass die Menschen sie verehrten. Sie riefen sie an, zum Schutz gegen die Flussechsen, und manchmal, wenn ihr danach war, verjagte sie die Echsen, wenn sie einem Menschenkind zu nahe kamen. Doch ergriff sie nicht Partei, wenn das Landvolk gegen die Seebewohner in den Kampf zog, denn sie betrachtete beide als ihre Schützlinge. So ging es viele Jahre, unter einer offenbar immer langsamer werdenden Sonne und Sternen, die Maru nicht kannte. Dann blieb die Sonne stehen. Ein langer Tag brach an, und ein seltsames, unangenehmes Summen erfüllte die Luft. Fremde kamen in großer Zahl, mit langen, ledernen Panzern, großen Schilden und scharfen Waffen. Staubbedeckt waren
sie wie von einem langen Marsch, und hinter den Gepanzerten kamen Frauen, Alte und Kinder. Sie warfen Feuer auf die Hütten, trieben die Dorfbewohner hinaus und an den See. Und die Überfallenen warfen sich zu Boden, jammerten und weinten und flehten Maru um Hilfe an. Sie lauschte angestrengt, doch sie konnte die Dorfbewohner nicht hören, da war nur dieses vielstimmige, böse Summen. Dichter Rauch zog über den See, die Flussechsen flohen ins tiefe Wasser, und die Schwerter der Fremden töteten die Männer am Ufer. Maru lag im flachen Wasser und beobachtete; sie wollte etwas tun, aber sie tat nichts, konnte nicht. Die Krieger schleppten Hab und Gut davon, und die Frauen zogen das Vieh aus den Ställen. Maru erhob sich aus dem Wasser, das rot vom Blut war, und betrat das Ufer. Doch die Fremden bemerkten ihre Gegenwart nicht und spürten nicht einmal Furcht. Als sie alle Männer des Dorfes getötet hatten, fuhren sie mit den Frauen und Kindern fort. Maru erblickte die Blutgier in ihren Augen, und sie sah zu, wie sie die Wehrlosen niedermetzelten. Dann verluden sie das wenige, das sie den brennenden Hütten entrissen hatten, auf Karren, banden das Vieh an die Wagen und zogen davon. Es wurde Nacht, und noch immer brannte das Dorf. Maru saß am Ufer und beobachtete, wie das Feuer über die Wände ihres Tempels kroch. Das berührte sie nicht. Sie wartete. Die Flussechsen kamen zurück und holten sich vom Ufer, was die Fremden geschlachtet hatten. Maru unterband es nicht, denn das waren ja nur leblose Körper, ohne Träume. Der Morgen kam, und sie saß immer noch dort, allein. Die Hütten waren niedergebrannt, der Tempel nur noch Asche. Sie
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