Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
war also als reicher Mann mit ihr aus Serkesch geflohen, aber er hatte seinen Schatz in den Bergen versteckt, bevor
sie nach Awi gegangen waren, und es war ihr nicht gelungen herauszubekommen, was er mit all dem Silber vorhatte. Aus dunklen Andeutungen schloss Maru, dass Tasil in seiner Heimat Urath einst ein Unrecht widerfahren sein musste. Es schien, als bräuchte er viel Silber, um die Sache zu bereinigen. Wenn der Grabschatz aus Serkesch dazu nicht ausreichte, dann musste es ein wirklich großes Unrecht sein. Und offensichtlich reichte er nicht, denn sie waren ja inmitten von Krieg und Gefahr ständig damit beschäftigt, noch mehr Silber zu sammeln. Tasil schien einfach nicht genug bekommen zu können. Er gab es auch nur wieder aus, wenn er es für nötig hielt. Eine sichere – und bequeme – Unterkunft für sich, seine ›Nichte‹ und vor allem sein stetig wachsendes Vermögen hielt er glücklicherweise für angebracht. Mit dem, was er bei den ersten Schmuggelfahrten verdient hatte, hatte er den Mann bestochen, der das Haus des Richters Utaschimtu in dessen Abwesenheit für den Kaidhan verwaltete. Viele Menschen waren aus der Stadt geflüchtet. Da fiel nicht auf, ob nun ein Haus mehr oder weniger leer stand, und niemand, der nicht bestochen werden konnte, fragte danach. Die Dienstboten und Sklaven waren zwar davongelaufen, aber ein Mann hatte dem Richter doch die Treue gehalten – ein Sklave namens Yalu, und aus bestimmten Gründen hielt Tasil Yalu für geeignet, auch ihm gute Dienste zu leisten. Als sich Maru nun dem Vorhof des großen steinernen Hauses näherte, sah sie, dass die Hoftür offen stand. Das war ungewöhnlich. Sie verlangsamte ihre Schritte. Plötzlich huschten drei verhüllte Frauengestalten heraus. Maru starrte sie verblüfft an. »Was macht ihr hier?«, fragte sie.
»Nichts«, sagte eine der Frauen und eilte mit den anderen davon. Sie hielten kleine Bastpakete unter dem Arm, und Maru bildete sich ein, eine Spur von gekochter Hirse zu riechen. Es waren keine Frauen aus der Oberstadt, dafür waren die Umhänge, unter denen sie sich versteckten, viel zu armselig. Wie Diebinnen sahen
die drei aber nun auch nicht aus. Maru lief über den kleinen Hof zum Haus. Yalu wollte gerade die Tür schließen. Sie rief ihn an: »Yalu, was waren das eben für Frauen?«
Der weißhaarige Sklave schüttelte den Kopf. Der Mann war stumm, genau das war der Grund, warum Tasil ihn behielt. Man hatte ihm die Zunge herausgeschnitten, und zwar, so viel hatte Maru herausgefunden, auf Grund eines Urteils. Sehr schwer konnte sein Vergehen nicht gewesen sein, denn sonst hätte man ihn, einen Sklaven, nicht am Leben gelassen. Sie waren streng, die Gesetze der Akkesch.
»Habe ich da eben etwas zu essen gerochen?«
Yalu schüttelte erneut den Kopf, aber sie sah ihm an, dass er sich schuldig fühlte. Maru konnte nicht fassen, was der Sklave sich da herausgenommen hatte. Der Schmuggel brachte es mit sich, dass sie für sich selbst genug zu essen hatten, aber Tasil hütete die Vorratskammer eifersüchtig. Er hatte Maru verboten, sie auch nur zu betreten, und bestand darauf, alle Speisen selbst zuzubereiten. War er nicht im Haus, war die Tür zur Kammer verschlossen. Und Yalu wagte es, ihn zu hintergehen? Ausgerechnet Yalu?
»Wenn Tasil das herausfindet, dann …« Maru brachte den Satz nicht zu Ende. Sie las im Gesicht des Sklaven. Er war verlegen, aber das schien eher daher zu rühren, dass Maru ihn ertappt hatte – Angst war da keine in seinen Augen. Das konnte nur bedeuten… »Er weiß es?«, fragte sie ungläubig.
Yalu zögerte, dann nickte er, erleichtert lächelnd.
»Was verlangt er dafür?«, fragte sie, obwohl sie das deutliche Gefühl hatte, dass es hier nicht um Geld oder irgendeine andere Gegenleistung ging.
Yalu schüttelte den Kopf. Maru starrte ihn fassungslos an. Tasil verschenkte Nahrung an Bedürftige? Tasil? Der Mann, der nur an seinen eigenen Vorteil dachte? Das stellte alles auf den Kopf, was sie bisher über ihn zu wissen glaubte. Plötzlich lachte sie laut
auf. Bei ihm war man eben nie vor Überraschungen sicher. Sie schüttelte noch einmal ungläubig den Kopf. Wie lange mochte das schon gehen? In einem war Tasil sich auch in diesem Fall treu geblieben – er achtete auf größtmögliche Heimlichkeit.
Yalu sah sie fragend an. Offenbar wollte er wissen, worüber sie lachte.
»Schon gut, Yalu. Es ist nichts. Ich hoffe aber, du hast nicht alles weggeben, ich komme nämlich um vor Hunger.«
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