Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
Sofort wurde es ruhiger. Das Geschrei der drängenden Menge verebbte. Gruppen von Menschen kamen ihr entgegen, die sie verwundert anstarrten, denn sie war die einzige, die offensichtlich nicht in Richtung der Tempel unterwegs war. Das
Haus des Richters lag still in der Morgensonne. Von außen war nicht zu erkennen, ob Tagor Xonaibor und seine Leute drinnen warteten. Maru ging mit gemischten Gefühlen hinein. Warum war sie überhaupt hier? Sollte Tasil doch sehen, wie er ohne sie zurechtkam. Kam sie etwa nur zurück, weil sein Zauber das erforderte? Aus der Küche drang das Klappern von Geschirr. Jemand aß sehr geräuschvoll. Tasil war es nicht, das hörte sie. Sie wusste natürlich, warum sie hier war: Sie musste herausfinden, was ihr Onkel vorhatte. Er hatte die Iaunier notgedrungen in seine Pläne einbezogen. Der Tagor verfügte über ein schnelles Schiff und fünfzig Männer. Das war etwas, das sie nicht außer Acht lassen durfte. Tagor Xonaibor war ein Mann, der wusste, was er wollte. Frieden gehörte nicht dazu. Es war einer seiner Leute, der in der Küche saß und Hirse aus einer Tonschale kratzte. Maru kannte ihn. Es war Noitilomor, der Steuermann des Schiffs, ein enger Vertrauter des Tagors.
»Ich grüße dich«, begann Maru, als sie den Raum betrat.
»Diese Küche mag schön sein, doch eure Vorratskammer ist wirklich armselig eingerichtet. Nicht einmal Brotbier gibt es in diesem Haus«, meinte der Mann schmatzend.
»Es tut mir leid«, antwortete Maru trocken, »wenn du willst, kannst du in der Nachbarschaft nachsehen, ob du da mehr findest.«
Der Iaunier leckte mit der Zunge über seine Zähne und grinste dann breit. »So empfindlich, Kleine?«
Maru ging nicht darauf ein. »Ich suche meinen Onkel, hast du ihn gesehen?«
»Gesehen habe ich ihn, das ist jedoch schon eine ganze Weile her.«
»Und wo ist er hin?«
Der Iaunier lehnte sich zurück und streckte die Beine aus. Dann scheuchte er gemächlich eine Fliege von seinem Bauch. »Es geht
doch nichts über eine gute zweite Mahlzeit am Tag, nicht wahr?« Offenbar wollte Noitilomor zeigen, dass er jetzt der Herr in diesem Haus war.
»Wo ist Yalu?«, fragte Maru. Sie wollte sich nicht aus der Ruhe bringen lassen.
»Wer?«
»Unser Diener. Er ist stumm, aber dennoch erscheinen mir Unterhaltungen mit ihm viel erfreulicher als mit dir.«
»Oho, die Kleine wird ja richtig frech!«, rief der Iaunier, so als wären dort andere, deren Beifall er erheischen konnte.
Maru beschloss, auch darauf nicht einzugehen, verließ die Küche und rief laut nach dem Sklaven, doch er zeigte sich nicht. Sie sah in seiner Kammer nach und lief über den Innenhof. Der Brunnen plätscherte friedlich vor sich hin. Das erinnerte sie daran, dass sie immer noch nicht wusste, wie sie den Daimon bezwingen sollte. Flüssiges Gold? War damit vielleicht etwas anderes gemeint? Warum hatte sie die Maghai nicht weiter gefragt? Aber hätten die es ihr gesagt? Noitilomor folgte ihr gemächlich, lehnte sich in einen Torbogen des Innenhofs und sah ihr grinsend zu, wie sie vergeblich Kammer für Kammer absuchte. Tasils Kammer war verschlossen. Sie klopfte gegen die Tür. Es blieb still. Wenn jemand dort drinnen war, dann rührte er sich gewiss nicht mehr. Maru drehte sich um. Noitilomors Grinsen schien den ganzen Hof auszufüllen. Nun, wenn er es so haben wollte. Sie schlenderte gemächlich auf ihn zu und legte ihm die Hand auf den Arm.
»Sag, guter Noitilomor, wo finde ich Yalu?«, fragte sie, und über diesem schlichten Satz schwebte die Zauberstimme, die dem Iaunier sagte, dass ihn auf der Welt nichts glücklicher machen würde, als diesem Mädchen bestmögliche Auskunft zu erteilen.
Der Iaunier runzelte verunsichert die Stirn. Dann glättete sie sich, und er lächelte. »Er ist im Tempel, glaube ich.«
»Und geht es ihm gut? Ihr habt ihm doch nichts getan, oder?«
Maru achtete darauf, freundlich zu bleiben. Sie dachte an das, was Agir widerfahren war. Sie wollte niemanden verletzen.
»Er ist wohlauf«, antwortete Noitilomor langsam.
»Und mein Onkel, wo finde ich den?«
»Er ist im Bet Kaidhan, beim Immit.«
Das war naheliegend. Aber vielleicht war es gar nicht nötig, dass sie ihn aufsuchte. Noitilomor wusste doch sicher auch das eine oder andere über die Pläne, die Tasil und der Tagor geschmiedet hatten. Sie lächelte noch freundlicher, und dann fragte sie den Steuermann aus. Noitilomor erzählte ihr, was er wusste, was zu Marus Bedauern nicht sehr viel war. Die Schwinge, das
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