Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
durchquert, als plötzlich zu ihrer Rechten helle Stimmen laut aufschrien. Und dann stürmten Dutzende Menschen über die breiten Stufen des Bet Kaidhan hinab, rannten, warfen sich in das Gedränge und schlugen verzweifelt um sich. Krieger verfolgten sie. Die Menge stockte, es war, als hätte sie ein plötzlicher Schlag getroffen. Die Menschen versuchten, den Verzweifelten auszuweichen, jemand stolperte,
fiel, und andere fielen über ihn, eine jähe Welle schwappte durch die breite Straße. Einer fiel über und auf den anderen, versuchte auf den Füßen zu bleiben oder davonzulaufen. Doch es gab keine Flucht aus dieser steinernen Schlucht. Maru fand sich plötzlich am Rand des Geschehens wieder. Die Welle hatte sie nicht erfasst, und sie konnte sich an einer Säule des Bet Kaidhan festhalten. Die Krieger, die den Fliehenden nachjagten, verschlimmerten die Lage noch, indem sie die Unbeteiligten mit den Schäften ihrer Speere auseinanderzutreiben suchten. Ein aussichtsloses Unterfangen, denn es war einfach kein Platz, um auszuweichen. Oben an der Treppe erschien die gedrungene Gestalt von Upnu, dem Schab-ut-Schabai. Er blickte über das undurchdringliche Gewimmel der Menschen zu seinen Füßen und schien für einen Augenblick ratlos. Unten hatte sich die Lage schon wieder geändert. Die Welle zog eine Fluchtbewegung nach sich. Wie unter einem unsichtbaren Befehl teilte sich die Menge: Ein großer Teil versuchte, in den Tempel des Brond zu flüchten, ein anderer wollte durch das Tor entkommen. Auf den Stufen des Schirqu entstand große Verwirrung. Die einen wollten nach oben, andere hinunter. Es wurde geschoben und gedrängelt. Menschen stürzten, einige fielen von den Stufen auf das nächsttiefere Stockwerk, mitten hinein in die Menge, die sich vor den Eingängen staute und nun mit Macht hineinstrebte. Doch dies war der Schirqu von Ulbai, kein hastig zusammengezimmerter Tempel wie in Numurs Lager. Hier wurden die Riten eingehalten, und gewöhnliche Sterbliche waren zu unrein, um das Heiligste der Tempel zu betreten. Das war allein den Priestern vorbehalten. Und diese trieben die hineindrängenden Gläubigen mit Stockschlägen wieder hinaus. Schreie und Flüche hallten zwischen Bet Kaidhan und Schirqu hin und her. Von drau ßen, vom Edhil-Platz, schoben ahnungslos immer noch weitere Trauernde nach. Die Krieger waren dazwischen, schlugen auf die Menge ein, trieben sie auseinander und zusammen und wieder auseinander.
Es war, als sei eine Herde Rinder in Aufruhr geraten, und die Hirten schickten sich an, alles nur noch schlimmer zu machen. Jemand krallte sich in Marus Gewand fest, bevor er dann doch davongerissen wurde. Die Speerträger griffen hier einen und dort einen anderen Menschen aus der Menge. Upnu brüllte, doch seine Schreie gingen in dem ungeheuren Lärm unter. Maru klammerte sich fester an die Säule. Sie sah, wie Menschen niedergetrampelt wurden, ein schrecklicher Anblick. Upnu brüllte sich die Seele aus dem Leib. Er formte mit seinen Händen einen Trichter vor dem Mund, um seine Rufe zu verstärken. Jetzt übertönte er die vielfältigen Klagen und Schreie. »Zurück, zurück, ihr Söhne von Echsen. Nehmt, wen ihr habt, und lasst die anderen. Zurück!«
Es dauerte eine Weile, die Maru endlos erschien, bis auch der letzte Krieger den Befehl verstanden hatte. Die Speerträger ließen von der Menge ab und zogen sich zurück. Einige zerrten einen Mann oder eine Frau hinter sich her. Maru sah genauer hin. Die Unglücklichen trugen die Lederbänder der Sklaven um den Hals. Erst allmählich beruhigte sich die Lage. Die Gestürzten halfen sich gegenseitig auf die Beine. Für einige jedoch kam jede Hilfe zu spät. Maru wandte sich ab. Die Sklaven wurden oben zusammengetrieben. Sie ahnte, was hier gerade geschah. Neben ihr hatte sich ein Mann an die Säule gepresst, der Kleidung nach ein Handwerker. »Was ist hier geschehen, ehrbarer Meister?«, fragte sie ihn.
»Die Sklaven. Das letzte Haus wird schon errichtet. Aber sie wollen wohl nicht verbrannt werden«, antwortete er knapp.
Das letzte Haus. Maru erinnerte sich an diesen alten kydhischen Brauch. Der Herrscher wurde mitsamt seinen Besitztümern verbrannt. Die Akkesch beriefen sich auf diesen Brauch, auch wenn sie ihn stark abgewandelt hatten. Der Leichnam des Kaidhans würde nicht verbrannt werden, wohl aber seine Sklaven. Tasil hatte ihr einmal den wahren Grund erklärt: Der neue Herrscher sollte
wissen, dass er sich auf jeden seiner Sklaven unbedingt
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