Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
schnelle Schiff der Iaunier, würde sich an diesem Abend zum ersten Mal aus dem Fenn herauswagen. Im Grauen Dhanis sollte sie auf ein Zeichen warten. Welcher Art dieses Zeichen war oder was danach geschehen sollte, darüber wusste der Steuermann nichts. Maru dachte nach. Es war gefährlich für die Iaunier, sich im Fluss zu zeigen. Die Ulbaitai verfügten immer noch über Schiffe, und das war noch die geringste Gefahr. Der Graue Dhanis war tief, bis an seine Ufer heran. Es war schwer, dort eine seichte Stelle zu finden, die für die Awathani nicht erreichbar war. Wenn Tagor Xonaibor so viel wagte, dann musste es sich lohnen. Worauf hatte er es also abgesehen? Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Das Lösegeld! Abeq Mahas hatte reiche Auslösung in Silber, Eisen, Gold und Bernstein verlangt. Das musste es sein! Aber diese Kostbarkeiten würden doch sicher schwer bewacht werden. Tasil brauchte mehr als ein Schiff, um seine Hand auf diesen Schatz zu legen, und er hatte doch sicher auch dafür schon einen Plan. Aber wenn der Schatz geraubt würde – würde dann der Friedensvertrag noch zustande kommen? Oder würde Tasil den Frieden in letzter Sekunde verhindern? Maru biss sich auf die Lippen. Es kam wohl darauf an, wann der Schatz verschwand. Oder? Maru wurde es heiß und kalt. Sie begriff, dass das Schicksal der Stadt am
seidenen Faden hing. Und Tasil hatte das Messer, diesen Faden zu durchtrennen. Sie fragte den Steuermann noch einmal, aber er wusste einfach nicht mehr. Also schickte sie ihn zurück in die Küche, und der Mann gehorchte, glücklich, ihr geholfen zu haben. Maru fragte sich, wann er merken würde, was mit ihm geschehen war. Die Zauberstimme wirkte nicht ewig nach. Nun, darauf kam es jetzt nicht mehr an. Es war beinahe schon Mittag, und die Zeit wurde knapp. Wohin jetzt? Tasil. Er war der Einzige, der wirklich wusste, was am Abend geschehen würde. Sie seufzte. Da draußen lauerte ein Daimon, der ein ganzes Volk vernichten wollte, war das nicht genug? Musste sie sich jetzt auch noch darum kümmern, was ihr so genannter Onkel plante? Sie war sich ziemlich sicher, dass er selbst Tagor Xonaibor nicht in alle seine Winkelzüge eingeweiht haben würde. Würde er ihr mehr vertrauen? Sie bezweifelte es. Es war sehr bedauerlich, dass sie bei ihm die Stimme nicht anwenden konnte, aber das würde er natürlich sofort bemerken. Und er durfte doch auf keinen Fall Verdacht schöpfen.
Das Haus des Schlachters
Bedenke während deines Gebetes, mit wem du sprichst.
Kydhische Weisheit
Maru verließ das Haus und lief zum Bet Kaidhan. Auf dem Edhil-Platz war das Gedränge immer noch unübersehbar, und bei den Toren war es am schlimmsten. Die Ersten hatten ihre Opfer gebracht und wollten wieder zurück in die Unterstadt, doch von unten drängten immer noch viele Menschen nach. Das Jammern und
Klagen schien noch lauter geworden zu sein. Maru hörte aber auch einige neue Töne: Zu der Zerrissenheit zwischen Trauer und Hoffnung hatte sich Wut gesellt. Umatis Name wurde verflucht, und manch einer bedauerte, dass sie bereits tot war, so dass sie ihrer gerechten Bestrafung durch Lubans Kinder, die Ulbaitai, entging. Und einmal hörte Maru auch die Frage, wie denn die Frau überhaupt in die Stadt gelangt sei. Sie zwängte sich weiter voran durch die Menge, wurde geschoben und schob selbst, die hohen Mauern des Bet Kaidhan vor Augen. Ihr blieb keine Wahl, denn die Tempel lagen dem Herrscherhaus gegenüber, und wer zu dem einen oder dem anderen Gebäude wollte, musste durch das Nadelöhr des Tempel-Tors. Maru sah zwei weißgekleidete Priester, die sich bemühten, die Menge irgendwie zu lenken, doch sie erreichten wenig. Maru schob sich weiter voran, wurde zurückgedrängt und kämpfte sich wieder vor. Hinter dem Tor ragte der Schirqu, der Stufentempel von Ulbai, in den Himmel. Er war noch größer und erhabener als der, den sie in Serkesch bewundert hatte, aber der Aufbau war der gleiche: Das Erdgeschoss gehörte Brond, darüber folgte der Tempel der Alwa. Die dritte Stufe war der Erdgöttin Hirth gewidmet. Zwei lange Treppen führten bis ganz nach oben, zum Tempel des Fahs. Die Eingänge zu den jeweiligen Gotteshäusern lagen zwischen diesen Treppen. An ruhigeren Feiertagen mochte das die Ströme der Gläubigen hinauf und hinunter lenken, aber dies war kein Feiertag. Maru sah viel zu viele Menschen, die sich dort empordrängten. Es war beängstigend. Sie hatte das weiß gemauerte Tor endlich
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