Die Tochter des Magiers
Blick in den Spiegel. Sie war froh, daß ihr Haar wieder bis auf
Schulterlänge gewachsen war, nachdem sie es vor zwei Jahren überstürzt
hatte kurzschneiden lassen. Die Pflege kostete zwar viel mehr Zeit,
aber sie war eitel genug, um diesen Aufwand gern in Kauf zu nehmen.
Kritisch begutachtete sie ihr Make-up. Sie hatte ein wenig
mehr Lidschatten und ein Hauch Rouge aufgelegt, was im Grund keine
Eitelkeit war, wie sie sich sagte. Zur Aufgabe der Nouvelles gehörte es
nämlich, sich unter die Passagiere zu mischen und die Gäste ein wenig
zu unterhalten.
Eine solch kleine Gegenleistung war für eine sechswöchige
Fahrt auf einem eleganten Luxusdampfer sicher nicht zuviel verlangt.
Roxanne griff nach ihrer Leinentasche und eilte hinaus. In den
engen Gängen suchten die neu an Bord gekommenen Passagiere ihre
Kabinen, und überall lagen stapelweise Gepäckstücke. Es juckte Roxanne
förmlich in den Fingern. Wie leicht konnte man hier und da, einfach im
Vorbeischlendern, etwas mitgehen lassen – als pflücke man
Blumen auf der Wiese, dachte sie lächelnd.
Aber sie würden noch Zeit genug für ein wenig Spaß haben.
Sechs ganze Wochen lang. Und heute nachmittag hatte sie erst mal
Urlaub. Oben an der Treppe wandte sie sich um und eilte am Swimmingpool
vorbei zum Achterdeck, wo aufgeregte Passagiere an ihren
Empfangscocktails nippten, eifrig mit Videokameras filmten oder an der
Reling lehnten und darauf warteten, der Skyline von Manhattan zum
Abschied winken zu können.
Sie nahm vom Tablett eines Stewards ein Glas mit einem
rötlichen Rumcocktail und musterte ihre Mitreisenden, während sie daran
nippte.
Roxanne schätzte das Durchschnittsalter auf fünfundsechzig. Es
gab einige Familien mit Kindern und ein paar Jungverheiratete, aber
größtenteils waren es Ehepaare im gesetzten Alter, ältere Singles und
ein paar betagte Gigolos.
»Der richtige Name für diesen Dampfer wäre ›Greisenkahn‹«,
flüsterte Luke ihr ins Ohr, der von irgendwoher plötzlich aufgetaucht
war.
»Ich finde es wunderbar.«
»Das ist es auch.« Er legte freundschaftlich den Arm um ihre
Schultern. Da sie die nächsten Wochen auf relativ engem Raum
zusammenleben mußten, hatte er beschlossen, alle Auseinandersetzungen
zu vermeiden. »Schau dir diesen feinen Pinkel dort an.«
Er hatte den Cocktail abgelehnt und statt dessen eine Flasche
Bier genommen. Mit dieser deutete er auf einen schmucken silberhaarigen
Herrn in einem marineblauen Blazer und schicken weißen Hosen, um den
sich bereits ein Schwarm hingerissener Rentnerinnen versammelt hatte.
»Ganz Kavalier alter Schule.«
»Sieht man auf den ersten Blick«, nickte sie amüsiert. »Was
wettest du, daß er einen rasanten Cha-Cha-Cha draufhat?«
»Wahrscheinlich legt er auch eine heiße Rumba hin. Und da.« Er
deutete auf eine etwas hausbacken wirkende Blondine in einem
pinkfarbenen Jogginganzug. Sie hatte eine Kamera und ein Fernglas um
den Hals geschlungen, machte abwechselnd Fotos oder betrachtete den
Hafen und nippte dazwischen an ihrem Drink. »Typisch Touristin.«
»Du Snob.«
Er grinste nur. »Komm schon, jetzt such du jemanden aus.«
Sie blickte prüfend über das Deck und seufzte genüßlich. »O
ja, das ist genau mein Typ. Ein Bild von einem. Mann.«
Luke musterte den braungebrannten blonden Schiffsoffizier in
seiner prachtvollen weißen Uniform. Seine Laune verfinsterte sich
augenblicklich. »Wenn du auf solche Lackaffen stehst.«
»Und ob.« Seine Reaktion bereitete ihr diebisches Vergnügen.
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. »O ja, das tue ich. Sieh mal, da
ist Mouse.« Roxanne winkte heftig, und er kam zu ihnen herüber. »Na,
wie findest du's?«
»Großartig.« Sein blasses rundes Gesicht war vor Freude
gerötet. Er trug ein kurzärmeliges geblümtes Hemd, das Lily für ihn
ausgesucht hatte. »Ich hab mit runter in den Maschinenraum gedurft.
Jetzt muß ich mich erst mal um die Ausstattung für die Show und das
alles kümmern, aber später, haben sie gesagt, kann ich mit rauf auf die
Brücke.«
»Gibt's da unten auch Frauen?« frage Luke.
»Im Maschinenraum?« grinste Mouse verlegen. »Nee. Bloß auf
Bildern an den Wänden.«
»Bleib bei mir, Kumpel. Ich besorg dir ein paar echte.«
»Laß ihn in Ruhe, du Sexprotz.« Roxanne hängte sich bei Mouse
ein. »Hört mal.« Die Schiffssirene stieß zwei langgezogene Signaltöne
aus. »Wir legen ab.«
»Sieh mal, ein Deck über uns«, murmelte Luke.
Sie blickte nach oben und sah Lily, die ein leichtes,
hellblaues
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