Die Tochter des Magiers
ihren Lippen.
DREIZEHNTES
KAPITEL
L uke und Roxanne hätten beide heftig
abgestritten, daß sie der romantischen Atmosphäre dieser Kreuzfahrt zum
Opfer gefallen waren. Das Rauschen des Meeres, die strahlenden
Sonnenuntergänge und menschenleere Decks im Mondschein – das
alles mochte vielleicht auf andere seine Wirkung haben, doch nicht auf
sie. Jede Anspielung, daß sie regelrechte Flitterwochen verlebten,
hätten beide vehement abgewehrt. Und dennoch genossen sie es seit drei
Wochen ausgiebig, einander zu entdecken und hemmungslos ihre Liebe
auszukosten.
Zu seiner Erleichterung merkte Luke, daß er kein
eifersüchtiger Narr mehr war. Es gefiel ihm sogar, daß alle Männer sich
nach Roxanne umschauten, wenn sie einen Raum betrat, und er beobachtete
lächelnd, wie sie mit anderen flirtete – selbstbewußt und
stolz, denn er wußte genau, daß sie ihm gehörte.
Roxanne entdeckte, daß aus dem harten, verwirrten Jungen, der
er fast sein ganzes Leben lang gewesen war, ein Mann geworden war, der
sanft und zärtlich sein konnte, leidenschaftlich, charmant und
hingebungsvoll.
Selbst in einem menschenüberfüllten Raum geschah es oft, daß
sie alles andere vergaßen und sich, ohne einander zu berühren oder
miteinander zu reden, in den Blick des anderen versenkten.
Vielleicht kamen sie deshalb auch beide zu dem Schluß, daß
eines noch fehlte, um ihre Flitterwochen perfekt zu machen –
ein kleines, prickelndes Unternehmen.
Ihr Diebesblut wurde langsam unruhig. Bislang hatten sie
lediglich Mrs. Cassell um einige alte Schmuckstücke erleichtert. Da
diese Lady ihre sieben Tage an Bord der Yankee Princess damit verbracht hatte, sich unablässig zu beschweren und Jack
das Leben zur Hölle zu machen, hatten die Nouvelles es als eine Sache
der Ehre betrachtet, ihr einen echten Grund zum Jammern zu geben.
Nur war das Unternehmen leider mehr als simpel gewesen.
Roxanne war zwischen zwei Auftritten in Mrs. Cassells Kabine gehuscht
und hatte sich den verschlossenen Schmuckkoffer geschnappt, der in
einem Stapel halb ausgepackter Gepäckstücke stand. Nach einem Blick auf
das Schloß hatte sie ihren Plan geändert. Statt den Koffer Luke zu
übergeben, hatte sie ihn mit einer von Mrs. Cassells Haarklemmen
geöffnet, den Schmuck eingesteckt, das Köfferchen wieder verschlossen
und die Kabine verlassen.
Wie geplant kam Luke ihr bereits entgegen.
»Probleme?«
»Überhaupt nicht.« Lächelnd klopfte sie auf ihre Tasche. »Ich
muß nur rasch was aus der Kabine holen«, sagte sie, als er grinste.
»Pünktlich auf mein Stichwort bin ich wieder da.«
Luke riß sie in seine Arme, um sie zu küssen, und tastete
dabei in ihren Taschen nach der Beute. »Du hast drei Minuten, Roxy.«
Sie brauchte weniger als eine halbe Minute, um alles in dem
falschen Boden ihres Schminkkoffers zu verstecken. Es blieb ihr sogar
noch Zeit genug, den Lippenstift zu erneuern, den Luke verschmiert
hatte, und trotzdem pünktlich zu erscheinen.
Alle waren sich einig, daß der Schmuck erlesen war, nur daß
alles so leicht vonstatten ging, trübte ihre Freude ein wenig. Die
Nouvelles sehnten sich nach einer Herausforderung. »Vielleicht sollten
wir überlegen, ob in einem der Häfen was zu machen wäre«, meinte
Roxanne geistesabwesend. Sie stand neben Lily an Deck. Die neuen
Passagiere kamen nach und nach an Bord, tranken ihre Empfangscocktails
und machten eifrig Fotos. Luke und Mouse waren zum Olympiastadion
gezogen, um sich das Spiel der Expos gegen die Dodgers anzuschauen.
»Das könnten wir wohl.« Lilys Gedanken gingen immer wieder zu
Max. Sie war vor Tagesanbruch aufgewacht und hatte ihn mitten unter
seinen Büchern auf dem schmalen Sofa entdeckt. Er hatte mit einer Münze
gespielt, die ihm beim zweiten Versuch aus den Fingern geglitten war.
Die Erinnerung an sein gequältes Gesicht ließ sie nicht mehr los. Am
schlimmsten war es für sie zu wissen, daß sie ihm diese Schmerzen nicht
abnehmen konnte.
»Ich dachte an Newport«, fuhr Roxanne fort. »Dort wimmelt es
von Villen. Wir könnten uns wenigstens mal ein paar Häuser anschauen.«
»Du bist ihm so ähnlich.« Lily seufzte. »Wenn du nicht gerade
mitten in einem Projekt steckst, planst du eines. Nur dann bist du
glücklich.«
»Das Leben ist zu kurz, um die Arbeit nicht zu genießen«,
lächelte sie schalkhaft. »Und ich liebe meine wahrhaftig.«
»Was würdest du tun, wenn plötzlich alles aus wäre?« Lily
spielte nervös mit dem Jadeanhänger, den Max ihr in Halifax gekauft
hatte.
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