Die Tochter des Magiers
dir ja erzählt, daß er weggehen mußte. Jetzt
ist er wieder zurückgekommen, aber gewöhn' dich besser nicht an ihn,
weil er vielleicht bald wieder verschwindet.«
»Er würde seinen Sohn nicht im Stich lassen. Das könnte er
niemals.«
»Ich will kein Risiko eingehen.« Sie holte tief Atem. »Falls
ich mich dazu entschließe, Luke von Nathaniel zu erzählen, will ich den
Zeitpunkt und den Ort dafür selbst bestimmen. Ich habe
diesmal das Sagen.« Sie packte Lilys Schultern. »Versprich mir, daß du
ihm nichts erzählst.«
»Ich erzähle es ihm nicht, wenn du versprichst, das Richtige
zu tun.«
»Ich versuche es. Gehen wir, ja? Es ist ein langer Tag
gewesen.«
Einige Stunden später, als das erste graue Licht des Tages
heraufdämmerte, stand Roxanne in der Tür des Zimmers, in dem ihr Sohn
schlief, und lauschte auf sein Atmen. Nathaniel – ihr Kind,
dieses größte aller Wunder, das sie je erlebt hatte. Und sie dachte an
den Mann, der in einem Zimmer ein Stockwerk tiefer schlief, und der
dieses Leben gezeugt hatte. Sie erinnerte sich noch gut daran, welche
Angst sie gehabt hatte, ihrem Vater zu sagen, daß sie schwanger war.
Aber Max hatte sie nur fest in den Arm genommen. Rückhaltlos hatten er,
Mouse und LeClerc sie unterstützt. Sie dachte an all die Babysachen,
die Lily gestrickt hatte, an die Tapete für das Kinderzimmer, mit der
Mouse sie überrascht hatte, an die Milch, die LeClerc sie zu trinken
gezwungen hatte.
An dem Tag, an dem sie zum ersten Mal eine Bewegung des Babys
gespürt hatte, hätte sie beinah ihre eiserne Beherrschung verloren und
geweint. Aber sie hatte es geschafft, die Tränen zu unterdrücken. Die
Schwangerschaftskleider, die geschwollene Knöchel. Der erste feste
Tritt, der sie aus tiefem Schlaf geweckt hatte.
Schwangerschaftsgymnastik mit Lily. Und immer dieser winzige Keim
Hoffnung tief in ihr, daß Luke zurückkommen würde, ehe ihr Kind geboren
wurde.
Aber er war nicht gekommen. Achtzehn lange Stunden hatte sie
in den Wehen gelegen und war abwechselnd von Angst und einem
wahnsinnigen Hochgefühl gepackt worden. Sie hatte beobachtet, wie ihr
Sohn sich seinen Weg ins Leben erkämpfte, hatte auf seinen ersten
empörten Schrei gelauscht. Und jeden Tag hatte sie ihn angeschaut und
Luke in seinen Zügen entdeckt.
Sie hatte ihren Sohn heranwachsen sehen und gleichzeitig
erleben müssen, wie ihr Vater durch seine Krankheit, die niemand heilen
konnte, immer mehr in seiner fremden Welt versank. Sie war allein
gewesen. Trotz aller Liebe, die sie zu Hause umgab, war nie jemand
dagewesen, an den sie sich in der Nacht wenden konnte, niemand, der sie
tröstend in die Arme nahm, wenn sie weinte, weil ihr Vater sie nicht
mehr erkannte.
Und genauso allein war sie jetzt, als sie über ihren Sohn
wachte, während der Morgen heraufdämmerte.
ZWEITES
KAPITEL
L ily überprüfte rasch im Spiegel ihrer
Puderdose Make-up und Frisur und setzte ein freundliches Lächeln auf.
Sie straffte ihre Schultern und zog ein wenig den Bauch ein, der sich
langsam immer schwerer kaschieren ließ. Erst dann war sie zufrieden mit
ihrer Erscheinung und klopfte an die Tür von Lukes Suite.
Sie wollte Roxanne nicht in den Rücken fallen, sondern ihn nur
kurz begrüßen – und vielleicht würde sie dem Jungen gleich
einmal gründlich die Meinung sagen. Auch wenn sie beinahe platzte vor
Freude, ihn wiederzusehen.
Sicherheitshalber hatte sie gewartet, bis Roxanne zu ihrer
Pressekonferenz gegangen war.
Als die Tür endlich aufgeschlossen wurde, war sie so nervös,
daß sie den Atem anhielt. Verdutzt starrte sie denkleinen
dunkelhaarigen Mann an, der ihr öffnete. Er musterte sie durch eine
silbergerahmte Brille, deren Gläser fast daumendick waren. Selbst wenn
sich Luke noch so sehr verändert haben sollte, dachte Lily, ganze
fünfzehn Zentimeter kann er einfach nicht kleiner geworden sein.
»Ach, Entschuldigung, ich muß das falsche Zimmer erwischt
haben.«
»Lily Bates!« rief der kleine Mann überschwenglich. Seinem
Tonfall hörte man deutlich die Herkunft aus der Bronx an. Ehe Lily sich
versah, hatte er ihre Hand gepackt und schüttelte sie begeistert. »Ich
würde Sie überall erkennen. Überall! Sie sind sogar noch hübscher als
auf der Bühne.«
»Danke.« Aus Gewohnheit klimperte sie mit ihren falschen
Wimpern und trat ein wenig zurück, um zu verhindern, daß er sie ins
Zimmer zerrte. Der Himmel mochte wissen, was das für ein Irrer war.
»Ich fürchte, ich habe die Zimmernummer verwechselt.«
Er schob
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