Die Tochter des Magiers
Maßarbeit. Aus irgendeinem Grund hätte Luke
am liebsten laut gejubelt.
»Mann, du bist der Größte«, schrie er übermütig als Mouse aus
der Kabine kletterte, und wirbelte im nächsten Moment wie ein
angriffsbereiter Boxer herum, als im Haus ein Licht aufflammte. In der
Tür erschien eine Gestalt. »Wer ist das?«
»LeClerc.« Mouse klapperte mit den Schlüsseln in seiner
Hosentasche und ging zum Tor, um die Eisentüren zu schließen.
LeClerc kam näher. »Ihr seid also wieder da.« Luke stand vor
einem kleinen Mann mit grauem Haar und Vollbart, einem schneeweißen
T-Shirt und ausgebeulten grauen Hosen, die von einem Stück Tau
festgehalten wurden. In seinen Worten schwang ein leichter Akzent mit.
»Und ihr habt bestimmt Hunger, oder?«
»Haben nicht gerade gefastet«, lachte Mouse.
»Na, um so besser.« LeClercs Gang war steif, und er hinkte ein
wenig. Luke nahm an, daß er sicher zehn Jahre älter war als Max. Sein
Gesicht erschien ihm wie eine ramponierte Landkarte, auf der Hunderte
von eingefahrenen Straßen verzeichnet waren. Die scharfen braunen Augen
unter den buschigen Brauen standen weit auseinander.
LeClerc betrachtete den mageren Jungen, der mit wachsamem
Blick dastand, um entweder jederzeit davonzulaufen oder zu kämpfen.
»Und wer ist das?«
»Das ist Luke«, sagte Max, der mit der schlafenden Roxanne im
Arm aus dem Wohnwagen kam. »Er gehört jetzt zu uns.« Die beiden Männer
wechselten einen Blick und verstanden sich ohne weitere Worte.
»Noch einer, aha.« LeClercs Lippen verzogen sich zu einem
kleinen Lächeln, ohne daß er seine Pfeife aus dem Mund nahm. »Na ja.
Und wie geht's meinem bébé ?«
Roxanne streckte noch halb schlafend die Arme aus und wurde
von LeClerc in Empfang genommen. Sie schmiege sich an seine hagere
Gestalt, als sei er ein Federkissen. »Kriege ich ein Beignet?«
»Ich mache eins nur für dich.« LeClerc nahm seine Pfeife aus
dem Mund, um sie auf die Wange zu küssen. »Dir geht's wieder besser,
ja?«
»Ich hatte ewig lange Windpocken. Ich werde nie, nie wieder
krank.«
»Ich gebe dir ein Gris- gris . Solch ein Amulett schützt dich vor allen bösen Einflüssen.«
Er strahlte, als Lily aus dem Wohnwagen kam. Sie trug einen schweren
Kosmetikkoffer, und über ihrem Arm hing eines ihrer seidenen Negligés.
»Ah, Mademoiselle Lily.« LeClerc gelang es trotz des Kindes, sich zu
verbeugen. »Hübscher als je zuvor.«
Kichernd hielt sie ihm die Hand hin, die er mit Nachdruck
küßte. »Schön, wieder daheim zu sein, Jean.«
»Kommt rein, kommt rein. Ich mache ein schönes
Mitternachtsessen für euch.«
Max ging voraus über den Hof, in dem in Hülle und Fülle Rosen,
Lilien und Begonien blühten. Eine kleine Treppe führte zu einer Tür,
durch die man in die Küche kam. Dort brannte ein Licht, das sich auf
blankgeputzten weißen Kacheln und dunklem Holz spiegelte.
Auf einem kleinen Herd aus Ziegeln, die früher einmal rot
gewesen waren, jedoch durch die Hitze im Lauf der Zeit ein sanftes
Graurosa angenommen hatten, stand eine beleuchtete Plastikstatue der
Heiligen Jungfrau und eine indianische Rassel, geschmückt mit Perlen
und Federn.
Es war herrlich kühl in diesem Raum, und trotzdem hätte Luke
schwören können, daß er den verlockenden Duft von frischgebackenem Brot
roch.
Getrocknete Sträuße aus Kräutern und Gewürzen baumelten neben
Zwiebel- und Knoblauchzöpfen von der Decke herab, an eisernen Haken
über dem Herd hingen glänzende Kupfertöpfe. Ein weiterer Topf stand auf
der hinteren Platte. Was auch immer dort kochte, es roch einfach
paradiesisch. Ein mächtiger Tisch in der Mitte des Raums war bereits
mit Schüsseln und Tellern gedeckt, neben denen hellkarierte
Leinenservietten lagen. LeClerc, der Roxanne immer noch auf dem Arm
hatte, holte einen weiteren Teller und Besteck aus dem Schrank.
»Gumbo«, seufzte Lily und legte Luke einen Arm um die
Schultern. Sie wünschte sich so sehr, daß er sich hier zu Hause fühlte.
»Niemand kocht so gut wie Jean. Warte nur, bis du es probiert hast,
Luke. Wenn ich nicht aufpasse, platze ich innerhalb einer Woche
regelrecht aus meinem Kostüm.«
»Aber heute abend machst du dir darüber keine Sorgen, sondern
ißt.« LeClerc setzte Roxanne auf einen Stuhl, nahm zwei dicke Tücher
und hob den Topf vom Herd.
Luke betrachtete fasziniert die Tätowierung, die von seinem
schmalen Handgelenk bis hinauf zur Schulter reichte. Es waren Vipern in
etwas verblaßtem Blau und Rot, die sich über die ledrige
Weitere Kostenlose Bücher